Interview mit „Storm“ (Red Bull BC One 2010 Juror)

Teil 1 der Interview-Reihe zur Red Bull BC One 2010 in Tokyo: Im Gespräch mit Niels Robitzky alias „Storm“ aus Berlin, Choreograph, anerkannter Tänzer, Breakdance Weltmeister von 1992 und bei der Red Bull BC One als Juror tätig.

Zunächst einmal sollte ich erwähnen, dass wir keine Ahnung von Breakdance haben und deswegen die erste Frage: Was macht man in der Jury?
Als Juror… okay fangen wir woanders an. Ihr habt es Breakdance genannt, es ist B-Boying. Die Medien haben den Namen “Breakdance” damals damals und wir werden den auch nicht mehr los. Bloss wurden damals viele Namen unter “Breakdance” zusammengefasst. Mit der Zeit war es nur noch B-Boying und dann hat man irgendwann gesagt, dass man den Namen eben ganz abschafft. Aus unserer Kultur nennt es keiner mehr Breakdance, weil es seit 1983 immer mit weissen Handschuhen und Spiegelbrille assoziiert wird.

Und so sahst du früher auch aus?
Ja klar! Wir haben alle so angefangen, genau so. Aber okay, was macht man als Juror? Im Endeffekt reagierst du auf das was du siehst, versuchst deine Erfahrung und dein Wissen was sich in den Jahren angesammelt hat ins Spiel zu bringen, und reagierst auf das was du siehst; was anderes geht gar nicht. Natürlich hat jeder seine eigenen Kritieren: In erster Linie muss die Philosophie stimmen, der Ausdruck, so wie jeder andere Tanz auch seinen Ausdruck hat. Du würdest einen verletzten Tänzer natürlich sofort erkennen, der da versucht, irgendwelche B-Boy-Sachen zu machen, und der wird wohl kaum gewinnen. Als nächstes dann Sauberkeit und Spiel zur Musik. Du siehst wer seine Hausaufgaben gemacht hat.

Das geht dann immer Runde für Runde, der eine fängt an, der andere macht die Zuende, dann schauste, der war da besser, aber der war da besser, bei Unentschieden musst du eben schauen, wer in einer Runde vielleicht viel besser war. Der, der anfängt, hat eigentlich Disadvantage, weil du alles geben musst wie du kannst, als Zweiter kannst du ja spielen und musst nur reagieren, kannst dir sagen “ahja, der hat nur das gemacht, das wird ein einfaches Spiel”.

Okay, du hast ja sehr viel Erfahrung was das breaken, ähm, b-boy…
breaken darfst du sagen!

Haha gut, also wie hat es sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt?
Also vom Stil her eigentlich gar nicht, aber von den Bewegungen her und vom Schwierigkeitsgrad.

Wahrscheinlich athletischer?
Nö, das ist gleich geblieben. Ist wie beim Turnen: Du kannst von außen eigentlich nicht ausmachen, wer in welchem Jahr gelebt hat. Es ist aber so, dass die Technik ausgefeilter geworden ist, viel mehr Vokabular dazu gekommen ist, weil jeder B-Boy natürlich kreativ ist, sonst wäre er nicht hier gelandet, klar. Und jeder, der das schon eine Zeit lang macht, hat sich natürlich Gedanken über neue Schritte und Moves gemacht – der B-Boy-Baum ist am Wachsen.

Gibts denn sowas wie bestimmte Moves, die in einer Runde erwartet werden?
Also Moves weniger, eher Konzepte bzw. Methoden. Also Top Rock, Foot Rock, Freeze und Powermoves, das sind eigentlich die Kriterien. Dann könnte man noch ein bisschen weiter ausfeilen. Top Rock, oder eben Down Rock, also unten, Moves, also Spins und Turns und sowas, und der Freeze, was eine Sache abschließt. Dann noch die Kleinigkeiten, Transitions, zum Beispiel wie geht man vom Top in den Down Rock, Rotations, wieviel bau ich an Drehungen ein. Wenn ich immer nur zweidimensional nach vorne gehe ist das natürlich viel einfacher, als würde ich mich ständig bei meinen Sachen im Kreis drehen. Spontanität ist auch was ganz wichtiges, was besonders bei Lilou (Vorjahressieger, d.R.) unheimlich gewirkt hat. Die Basics kann er gut, aber dadurch dass er so spontan ist, dass du die Sachen nicht kommen siehst, dadurch überrascht er ständig und war gerade deshalb eine Nummer schärfer als die Anderen.

Tanzt du selbst noch viel?
Jaja, ich bin ja Choreograph, aber auch selber noch auf der Bühne. Die Woche, in der sie mich hier hergeholt haben, da bin ich froh dass ich meinen Computer dabei habe. Ich mache gerade eine Produktion, die im Januar in Paris auf Tour, geht und bis dahin fertig sein muss, d.h. ich hab gerade ein bisschen Zeitdruck. Das wird ein Solo, nennt sich “28 Jahre, 28 Minuten”, uraufgehört in einem Vorort in Paris.

Also noch viel beschäftigt – hast du in Berlin noch eine eigene Tanzschule?
Nee, würd auch gar nicht funktionieren so viel wie ich unterwegs bin. Und ich habe einen vierjährigen Sohn; spätestens wenn der zur Schule kommt, wollte ich eigentlich ein bisschen mehr in Berlin machen. Mir schwebt ja ein Choreographiezentrum vor, mit Kulturgeldern, mit Theatern, was Neues schaffen, sowas ist cool.

Wo wir gerade bei Deutschland sind: Was hälst du von der deutschen Szene?
Airdit (einzige deutsche Vertreter bei der Red Bull BC One 2010, d.R.) ist leider so gut wie der Einzige. Es ist leider aber auch so, dass es sehr personenbezogen ist, das bedeutet, wenn du jemanden siehst, der trainiert, der Efolge feiert, dann inspiriert es dich vielleicht. Airdit ist halt ein Einzelgänger. Damals in Berlin, das war eine ganz andere Geschichte, da hatten wir Anfang der 90er ein mächtiges Gangproblem in Berlin, und da haben sie aus den Drogen- und Gewaltpräventionsprogrammen die ganzen älteren Breaker, also uns dann bezahlt damit wir Kurse in Jugendzentren und Asylantenheimen geben. Und das hat gut funktioniert, plötzlich hatten wir 500-600 Breaker, nur in Berlin. Da haste auf einen Spielplatz geguckt, in Charlottenburg oder so, und siehst da zwei Kinder in der Sandkiste, die da am breaken sind. Zeigt der größere Bruder dem Kleineren wie das geht. Bist in eine Pizzeria gegangen und hast irgendwelche Breakbeats gehört. Es war anders, völlig anders.

Im Ausland ist es anders, aus rein kultureller Sicht haben die sich damit ganz anders beschäftigt, haben gemerkt, dass B-Boying eben keine Modewelle ist, und es nicht nur um Jugendkultur geht. Hip Hop in Deutschland ist nach wie vor eine Jugendkultur. Das kannste nichts machen, das gibts seit 30 Jahren, wieviele von uns sind damit aufgewachsen, das ist keine Jugendkultur mehr. Und solange sie das so abhandeln… ich bin jetzt seit 1992 in Frankreich, fast alle meine Produktionen werden zurerst da gezeigt. In Deutschland hatte ich in den letzten 5 Jahren vielleicht 10 Gastspiele, mehr nicht, das mache ich allein in Paris in einem Jahr. Ähnlich in Japan, Korea sowieso.

Danke für das nette und aufschlussreiche Gespräch. Interview aufgezeichnet und geführt von Jeriko und mir. So komisch es klingt kommen die Fotos dieses mal von mir und den offiziellen Red Bull BC One Fotografen. Morgen folgt Teil 2 der Serie.