Home Stories: Im Talk mit Oliver Koletzki

Zu Hause ist es am schönsten. Das dachten wir uns auch und besuchten den erfolgreichen Produzenten, Labelchef und DJ Oliver Koletzki zum Start unserer neuen Interviewserie „Home Stories“ in seiner Wohnung in Friedrichshain.

Bei einem Glas Wein sprachen wir mit ihm über Musiktrends, individuelle Vorlieben, Zeitgeist und die Zukunft der elektronischen Musik. Ein Interview mit Herz, Geist und vor allem viel Persönlichkeit. Genug der einleitenden Worte – Oli, stell dich selbst vor:

IMG_7917

Heute Morgen fragte mich ein Bekannter: Wer ist denn Oliver Koletzki? Überrascht dich das?
Zwar habe ich über die Jahre hinweg doch einen Sprung in einen eher mainstreamigen Bereich geschafft, weil sich eben auch meine Musik in diese Richtung entwickelt hat, aber dennoch bin ich nicht so bekannt wie Michael Jackson. Ich fühl mich immer noch der elektronischen Musikszene zugehörig, zumindestens gehör ich dorthin. Und deshalb kann man auch nicht unbedingt davon ausgehen, dass mich jeder kennt. Also überrascht mich das nicht.

Wenn du meinem Bekannten in nur zwei Sätzen beschreiben müsstest, wer Oliver Koletzki ist, was würdest du antworten?
Oliver Koletzki ist ein Musiker und DJ, der aus Braunschweig kommt. Inzwischen lebt er seit 14 Jahren in Berlin und gründet dort vor 10 Jahren ein Plattenlabel, das Stil vor Talent heißt. Ansonsten ist er ein lebenslustiger junger Mann.

Wie muss man sich denn den Tagesablauf eines Produzenten und Labelchefs wie Dir vorstellen?
Ich stehe relativ pünktlich auf, weil ich kein Langschläfer bin. Dann fahre ich vormittags oft ins Studio am Schlesischen Tor und kümmere mich dort um die verschiedenen Produktionen, die gerade anstehen. Nachdem ich ein paar Stunden Musik gemacht habe, geh ich in der Mittagspause in unser Office in die Glogauer Straße, das gleichzeitig auch unser eigener Stil vor Talent Shop ist. Dort bespreche ich mit meinen Boys und Girls die wichtigsten Themen. Nach zwei bis drei Stunden geht’s zurück in Studio und abends wie jeder andere auch nach Hause. Gar nicht so spannend. Feierabend gibt es aber nie wirklich, wenn man selbstständig ist. Deshalb esse ich etwas, schaue vielleicht Simpsons und habe dabei ständig den Computer aufgeklappt, um jede einzelne Email zu beantworten. Da ich ein Typ bin, der gern alles selbst macht, gehören eben auch die ganzen Social Media Seiten dazu. Facebook, Instagram usw. Bei manchen Musikern und DJ’s, die die gleiche Anzahl an Likes haben, ist das ja nicht unbedingt immer der Fall. Und weil ich am Wochenende meistens auflege und die Nächste durchmache, sehe ich eigentlich zu, dass ich unter der Woche relativ früh ins Bett gehe. Wenn nicht gerade mittwochs Dixon im Watergate auflegt.(Lacht)

IMG_7934

Seit 20 Jahren stehst du nun an den Plattentellern, vor fast 10 Jahren kam mit „Mückenschwarm“ der Durchbruch als Produzent und seit eben genau so langer Zeit wächst und gedeiht dein eigenes Label. Bist du wunschlos glücklich?
Ich glaube, wenn man keine Wünsche mehr hat, dann kann man auch gleich sterben. Aber ich bin ziemlich glücklich, weil ich niemals gedacht hätte, dass ich das alles schaffe. Wenn man bedenkt, seit wie vielen Jahren ich nun schon Musik produziere und auflege, ist es jedes Mal krass zu sehen, dass ich heute damit so viele Leute erreiche. Also Leute, die meine Musik mögen und auch kaufen. Auf der anderen Seite wächst Stil vor Talent immer weiter. Wir haben jetzt vier Festangestellte, die nicht mehr auf Rechnung arbeiten, sondern dazugehören, worauf ich ganz besonders stolz bin. Das bedeutet natürlich auch viel Verantwortung und neue Herausforderungen für nächstes Jahr. Ich liebe es jedoch neue Aufgaben vor mir zu haben und glaube, ich wäre unglücklich, wenn es eben nichts mehr zu tun gäbe.

Erst vor ein paar Wochen wurde der Mauerfall vor 25 Jahren gefeiert. Blickst du zurück: Wo hättest du dich vor 25 Jahren heute selbst gesehen?
Wie alt war ich denn da? 14 Jahre. Da habe ich gerade angefangen Musik zu machen und wollte eigentlich immer nach Hamburg ziehen. Allerdings war das damals viel zu teuer und so ist es doch Berlin geworden, was genauso weit weg war. Das ich irgendwann von der Musik lebe, hätte ich damals nie gedacht.Ich war viel zu schüchtern dafür, um überhaupt auf die Idee zu kommen als Dj vor Tausenden von Menschen aufzulegen. Musik war nur ein Hobby. Mit 14 Jahren war mein größter Wunsch eher, dass ich von meinen Klassenkameraden akzeptiert werde und irgendwie jemals eine Freundin ergattern könnte.

IMG_7920 IMG_7925

Man sagt, mit den Jahren vergeht die Zeit immer schneller: Empfindest du das ähnlich? Wie schnell sind deine letzten 10 Jahre vergangen?
Super schnell! Ich glaube an dem Satz ist echt was dran. Die letzten Jahre sind verflogen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich immer mehr zu tun habe bzw. mir Arbeit aufhalse, weil ich absolut auf Arbeit stehe. Ich hasse Langeweile. Deswegen sorge ich auch irgendwie immer dafür, dass mir nie langweilig wird. Das führt aber wiederum dazu, alles schnell vergeht. Vor allem bei diesem ganzen Wahnsinn: Am Wochenende reist und spielt und reist man und kommt erst am Montag wieder zu Hause an. Dann hat man bis Donnerstag Zeit den ganzen restlichen Kram zu erledigen und schon ist man gleich wieder in der nächsten Stadt oder im nächsten Land. Und die wenigen drei Tage dazwischen zu Hause vergehen extrem schnell. Ein Teufelskreis, den ich aber auch mag.

In dem kürzlich erschienen Bar-Talk mit Markus Kavka meintest du, dass die Zeit eines der kostbarsten Dinge für dich ist. Wichtiger als Geld. Was machst du, wenn du einmal Zeit für dich brauchst?
Januar ist mein Urlaubsmonat, weil der super hässlich ist in Berlin. Deswegen fliege ich dann meistens irgendwohin und entfliehe allem. Ansonsten sind meine Freunde echt wichtig für mich und ich versuche sie so oft wie möglich zu sehen. Das ist dann Qualitytime, wenn wir zusammen kochen oder in Berlin ausgehen und ich nicht auflegen muss.

Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, ist aber ein schlechter Kosmetiker. Kann Musik deiner Meinung nach die kosmetischen Makel ausbügeln?
Ich muss dazu sagen, dass ich eine frohe Natur bin, seit ich denken kann. Ich wache morgens auf und habe fast immer gute Laune. Aber natürlich gibt es auch die wenigen Tagen, an denen das anders ist. Und in diesen Momenten bin ich gut darin alles mit Musik zu verarbeiten. Wenn zum Beispiel eine Beziehung in die Brüche geht, dann hat das – so ironisch das auch ist – den positiven Nebeneffekt, dass ich mega kreativ bin und meistens gleich ein Album schreibe. Ich ziehe mich dann zurück und fang hier zu Hause am Klavier an zu schreiben oder verbringe jeden Tag zehn Stunden im Studio. Musik hilft mir also sehr dabei, negative Sachen zu verarbeiten.

Musik ist am Ende oft nur ein Produkt unseres Zeitgeistes. Was macht für dich den aktuellen Geist unserer Zeit aus und wie empfindest du die Entwicklungen in der heutigen Popkultur?
Wenn man jetzt die letzten Jahrzehnte betrachtet, fand ich das eine ganz gute Entwicklung. Von Rock über Disco und 80ies bis hin zu Dancefloor Trash und House Musik. Was mir ein bisschen Sorgen macht, ist dagegen die Entwicklung der letzten Jahre. Anscheinend rückt elektronische Musik, wie bereits schon einmal in den 2000er Jahren, vor in die Charts. Ein Paradethema ist hier aktuell zum Beispiel Robin Schulz. Egal was der Typ gerade rausbringt, es schießt in Deutschland in den ganz normalen Major Control Charts nach oben. Und dabei macht er gar nicht soviel. Das ist natürlich nicht immer gut, wenn elektronische Musil so gehypt wird und immer und immer poppiger wird. So dass man am Ende gar nicht mehr auseinander halten kann, was Popmusik und was Electro ist. Meiner Meinung nach, ist es gesund auf der einen Seite einen Mainstream zu haben und auf der anderen Seite einen Untergrund zu bewahren, weil sich die Gesellschaft natürlich mit verschiedenen Strömungen identifizieren will. Da muss auch was für die Berliner Minimal Polizei übrig bleiben. (lacht) Für mich hat das zum Beispiel zur Folge, dass ich auch wieder ein bisschen härter auflege, weil ich diese ganze Entwicklung selbst zu krass empfinde. Und auch die nächsten Produktionen, die ich vor allem mit Niko Schwind mache, sind dementsprechend. Es ist wichtig, sich hier wieder stärker abzusetzen. Dennoch hatte die poppigere Musik, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, ihren gewissen Anspruch. Was man teilweise heute beobachten kann, sind jedoch Produktionen, die auf billigste Art und Weise kopiert werden und bei denen verstärkt nur noch das Geld im Vordergrund steht. Mir war es dagegen immer wichtig, dass es um die Musik ging.

IMG_7927 IMG_7924

Das passt gut zur nächsten Frage. In einem Interview meintest du einmal, dass es dich nervt, wenn Musikprogramme wie Magix & Co. 13-jährigen Jungs suggerieren, sie können mit 2-3 Stunden herumschrauben und Samples zusammenbasteln die fette Musikkarriere starten. Wird Musik immer „wertloser“?
Den jungen Leuten wird es leider immer einfacher gemacht Musik zu produzieren, das ist traurig. Als ich angefangen habe, Songs zu schreiben, war das viel schwieriger. Man musste ein Instrument lernen, sich mit den Synthesizern auseinandersetzen und erst dann konnte man mit dem Produzieren anfangen. Mit der heutigen Software wird den jungen Leuten alles vorgesetzt und sie müssen es nur noch wie Legosteine zusammen bauen. Am Ende klingt’s schon irgendwie geil. Das sorgt aber nicht unbedingt für den Wertverlust der Musik. Für den Verlust sind heutzutage in erster Linie illegale Downloads und Streamingdienste verantwortlich. Früher musste man sich noch im Laden eine CD kaufen oder Stunden vorm Radio warten bis das eine Lied hatte, was man wollte. Heute kann man alles was einem in den Sinn kommt überall konsumieren. Sei es über Youtube oder einen Streaming, für das man nicht mal ein Abo braucht. Selbst bei iTunes kostet ein Track im Angebot nur 0,69 Cent. Da verliert Musik ihren Wert. Trotz allem investieren aber Leute wie ich und viele andere immer noch viel Zeit und Arbeit, um gute Musik zu schreiben. Das ist nicht nur einmal die Entertaste drücken und fertig ist der Track. Hier muss sich einfach etwas im Bewusstsein der Leute ändern und sie sollten sich fragen wo die Musik entsteht, die sie mögen. Man bezahlt ja auch die Brötchen, die der Bäcker backt, und für die er Hefe und Mehl und Arbeit benötigt.

Wird demnach die Produktion von Musik in Zukunft unbezahlbar, weil niemand mehr Platten kauft?
Die Mehrzahl der Berliner DJ’sMusiker geht ja heutzutage kaum noch davon aus Geld mit dem Verkauf ihrer Platten zu machen. Sie haben längst akzeptiert, dass sie ihren Lohn nur durch Auftritte bekommen. Und die Produktionen sind somit einfach nur Werbung dafür, dass sie bekannter werden, und deswegen wieder mehr Auftritte bekommen. Bei Bands ist das natürlich noch einmal viel schwieriger. Hier muss ein ganzes Studio angemietet werden, vorher noch ein Proberaum, sie brauchen Instrumente und auch so eine Tour mit viel Equipment ist einfach teuer. Ich glaube es wird immer Musik geben und sie wird nie aussterben. Aber wenn Musik weniger wird oder immer mehr an Qualität verliert, hoffe ich, dass bei den Konsumenten ein Umdenken einsetzt.

Stichwort: Stil vor Talent. Braucht man heutzutage noch Talent um Musik zu machen?
Man braucht auf jeden Fall Talent um gute Musik zu machen. Zwar vereinfachen die neuen Programme alles, wie eben gesagt. Aber wenn man an den vorgegebenen Sachen nichts ändert, wird irgendwann alles gleich klingen. Talentierte Leute werden sich von den anderen darin unterscheiden, dass sie sich mehr mit ihrer Musik auseinandersetzen und sich etwas trauen und nicht einfach nur das kopieren, was in den Charts ist.

IMG_7939 IMG_7940

Was macht einen Techno Track erfolgreich? Ist es nur eine Frage des Instinktes?
Hier muss man erst einmal zwischen kommerziellen und künstlerischen Erfolg unterscheiden. Ich bekomme bei Stil vor Talent Tracks, die ich total geil finde, weil derjenige innovative Arrangements oder Sounds verwendet, die andere nicht benutzen. Auch wenn sich das dann nicht unbedingt verkauft, ist es für mich erfolgreich. Auf Stil vor Talent ist zum Beispiel auch nicht jedes Lied ein Hit. Im Bezug auf den kommerziellen Erfolg muss ich sagen, dass ich seit gut 10 Jahren ein ziemlich aufmerksamer Beobachter des Musikmarkts bin und ich jeden Tag die iTunes oder die Beatport Charts checke. Dabei entwickelt man ziemlich früh ein Gespür dafür, welche für Trends aufhören und welche kommen. Wir waren immer ein Label, das mit Trends mitgegangen ist und wir schämen uns nicht dafür. Das bedeutet aber nicht, dass wir das machen, was gerade in ist. Sondern vielmehr versuchen wir Musik zu entwerfen, die in sein wird. Dafür entwickelt man einen Instinkt. Ein Paradebeispielen ist hier zum Beispiel David August. Als ich ihn vor vier oder fünf Jahren gesignt habe, wusste ich genau, bei dem Typ ist irgendwas anders.

Ein aktueller Trend?
Also vor drei oder vier Jahren war ja in Berlin dieses Deep House Ding ziemlich erfolgreich. Das heißt: Melodien, viel Vocals, nicht ganz so schnell nicht ganz so hart. Das fing dann vor zwei Jahren auch in Amerika und ungefähr zur gleichen Zeit in den kleineren Städten in Deutschland an. Berlin hatte hier schon immer eine Vorreiterrolle. Dieser Trend jetzt nun aber total übersättigt. In Berlin seit bestimmt schon einem Jahr. Von Saxophonen will ich jetzt gar nicht erst anfangen. (Lacht) Ich glaube der Trend geht auf jeden Fall wieder zu härteren und schnelleren Beats und wendet sich ab von den Melodien. Leider. Ich steh ja sehr auf Melodien. Aber alles bewegt sich in Wellen in der Musikgeschichte. Und das was irgendwann zuviel wird, wird durch das Gegenteil eingeholt.

Blickst du denn selbst als Künstler zu jemanden auf?
Für mich ist das vor allem Stimming, weil er einfach so straight seinen Weg geht, sich viel traut und Geld relativ offensichtlich nicht so wichtig ist. Das gleich bewundere ich zum Beispiel auch bei einem Niko Schwind. Der verbiegt sich nicht.

IMG_7916

Und nun Oliver Koletzki in Kürze. Dein Song des Moments . . .
„Window“ von HVOB

Das beste Restaurant Berlins . . .
Schneeweiß

Der genialste Film aller Zeiten . . .
Pulp Ficton

Das machst du sonntags am liebsten . . .
Panorama Bar

Wirklich sexy ist . . .
Nicht gewollt sexy zu sein.

Wenn man dich auf der Straße trifft sollte man . . .
Nicht nach einem Foto fragen.

Dein ultimativer Tipp gegen den Kater . . .
Aspirin Complex und viel Wasser?

Last but not least: Deine Frage
Kommst du mit ins Watergate?

DANKE OLI ♥

images © Helen Hecker