Berlinale Recap: Es lebe der Dokumentarfilm

Es ist geschehen: Der goldene Bär hat sein neues zu Hause gefunden und wandert als nächstes in den Süden aus, nach Italien. Zu Recht hat ihn Gianfranco Rosi für sein dokumentarisches Meisterwerk „Fuocoammare“ erhalten. Und warum dieser Film auch mein ganz persönliches Berlinale Highlight dieses Jahr war und das Genre Dokumentarfilm für mich seinen Siegeszug feierte, verrate ich euch in einem kleinen Rückblick zu den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin.

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#BerlinaleMoments heißt der offizielle Hashtag der Internationalen Filmfestspiele Berlin und wahrlich kann man die Berlinale nur richtig erleben, wenn man sich auf all die kleinen und großen Momente einlässt, die uns dieses Festival der Superlative zu bieten hat. Dabei sind es oft nicht die Stars und Sternchen auf dem Roten Teppich oder die vielen feuchtfrohen Parties, die uns verzaubern, sondern es sind die unzähligen Filmmomente, die uns emotional packen. Sie lassen uns staunen und träumen, lachen und heulen und sind manchmal bitterernst und brutal oder poetisch und komisch. In jedem Fall sind sie es, die uns die Bilder unvergessen machen.

Seit vier Jahren lebe ich nun in Berlin und seit vier Jahren ist die Berlinale ein fester Termin in meinem Kalender. Doch jedes Jahr zeigte sie sich mir mit einem neuen Gesicht und Filmen, die ich so nicht erwartete. Auch 2016 hatte das Filmfestival einige Überraschungen für mich in Petto und rückte mein Augenmerk vor allem auf den Dokumentarfilm. Viele denken bei der Bezeichnung immer gleich an trockene Reportagen und minutenlange Interviews. Doch das Genre hat sich vor allem in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und lässt sich längst nicht mehr auf seine rein dokumentarische Funktion reduzieren. Die meisten Filme sind wahre Meisterwerke der Erzählung und fesseln genauso – wenn nicht sogar noch mehr – wie ein packendes Drama. Ihr Kern ist das Leben selbst, mit all seinen bewegenden und fantastischen Facetten.

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Ein perfektes Beispiel dafür ist mein erster großer Tipp für euch: Das neue Meisterwerk „Fuocoammare“ des italienischen Filmemachers Gianfranco Rosi. Er räumte nach 6 Jahren als erster Dokumentarfilm wieder den Goldenen Bären in der Kategorie Wettbewerb ab. Das Besondere an Rosis Dokumentarfilmen ist, dass man meistens komplett vergisst, dass sie ein Doku-Film sind. Seine Art, Menschen zu begleiten und ihnen nahe zu kommen, ist einzigartig. Seine Beobachtungen werden zu einer Geschichte und diese wiederum zu Emotionen, die sonst oft nur in clever inszenierten Dramen freigelegt werden. In Fuocoammare erzählt der in Eritrea geborene Italiener zum einen die Kindheit des kleinen Samuele, der in einer typisch sizilianischen Fischerfamilie auf der Insel Lampedusa, rund 130 km vor der afrikanischen Küste, aufwächst. Zum anderen begleitet er jene bei ihrer Arbeit, die unaufhörlich versuchen das Leben hunderter Flüchtlinge in den Weiten des Mittelmeers zu retten. Noch immer steckt mir ein Kloß im Hals, wenn ich an die Augen der vielen Männer und Frauen denke, deren Schicksale uns Gianfranco in Bildern erzählt, wo keine Worte mehr existieren. Wir selbst werden in diesen Momenten zu Augenzeugen und entdecken durch die erzählerische Verstrickung zwischen der Banalität des Alltags und den Katastrophen vor den Grenzen der EU, das Verantwortlichkeit mit dem Hinsehen und Verstehen beginnt.

Dem nächsten Dokumentarfilm, den ich mir herausgepickt habe, gelang es, mit viel Herzblut und Komplexität die New Yorker Ballroom-Szene verständlich zu machen und Einblicke in die Welt der heutigen jungen black LGBT-Community zu gewähren. Auch er räumte zu meiner Freude den Teddy Award für den besten Dokumentarfilm ab. Kiki – so wie sich die Szene selbst bezeichnet – ist ein Portrait über eine Subkultur, die menschlicher und bunter nicht sein könnte. Die schwedische Filmemacherin Sara Jordenö begleitete die Protagonisten vier Jahre lang in ihrem Alltag und ihrem Selbstverständnis. Auf diese Weise lernen wir die sogenannten „Houses“ kennen, in denen sich die Teilnehmer der New Yorker Voguing-Wettbewerbe auf die Bälle vorbereiten und erfahren mehr über ihre Wünsche, Hoffnungen und täglichen Kämpfe gegen Vorurteile und Ausgrenzung. Wir reisen mit ihnen durch ein Land, in dem nun zwar die Ehe zwischen Homosexuellen erlaubt wird, aber queeres Denken immer noch nicht selbstverständlich ist. Dabei geht es in dem Film nicht nur um Voguing oder genderpolitische Fragen, sondern vor allem um Akzeptanz und den Traum sein eigenes Sein so zelebrieren zu dürfen, wie es ist. Denn das ist keine Frage von Geschlecht oder Sexualität, sondern ein einfach nur menschlich. Co-Autor Twiggy Pucci Garçon bringt es auf den Punkt: „There is so much left to fight for.“

Alle guten Dinge sind drei. Zum Abschluss möchte ich euch noch den österreichischen Film „Kater“ empfehlen. Der Gewinner des Teddy Award war einer der wenigen Spielfilme die ich mir dieses Jahr angeschaut habe und verstörte mich in gleichem Maß wie er mich beeindruckte. Kaum habe ich zuvor ein Schauspiel erlebt, dass so auf den Punkt gebracht wurde und in seinem Ausdruck beinahe einer dokumenatristischen Arbeit gleicht. Händle Klaus hat mit diesem Skript nicht nur seine erzählerische Bravour bewiesen, sondern auch durch das grandiose Schauspieler Duo Lukas Turtur und Philipp Hochmair eine Inszenierung auf die Beine gestellt, welche wahrhaftig die „Vertreibung aus dem Paradies“ mit dem Geist der Zeit verbindet. Worum es geht? Schaut es euch selbst an, den jedes Wort, was ich mehr über diesen Film verliere, wäre seiner nicht würdig oder ein bloßer Spoiler.

arsenal