Interview: Die Wilde Möhre – Backstage

Mittlerweile befinden sich die Sommerklamotten in Griffweite, die Parks in Berlin sind wieder gefüllt und viele fragen sich in letzter Minute: Welche Festivals will ich diesen Sommer mitnehmen? Um euch die Entscheidung ein wenig einfacher zu machen, habe ich einmal hinter die Kulissen eines der Festivals gewagt, das in den letzten Jahren immer mehr von sich reden ließ: die Wilde Möhre. Vom 12. bis 14 August findet dieses musikalische Kleinod circa 150 Kilometer entfernt von Berlin in der schönen Lausitz statt. Warum die Wilde Möhre ein wenig anders ist, als die anderen, was es mit den Ticketpreisen auf sich hat und wie umweltfreundlich so ein Festival ist, verriet mir Veranstalter Alexander bei einem sonntäglichen Kaffee in Friedrichshain ausführlich in einem Interview. Höret, sehet und staunet…

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Wie ist die Idee zur „Wilden Möhre“ entstanden und welche Philosophie steckt hinter dem Festival?

Ich glaube da fang ich am besten mit der Historie unserer Gruppe an. Wir sind vor vielen Jahren als Studienanfänger aus allen Ecken Deutschlands nach Berlin gekommen. Man war neu in der Stadt und wusste anfangs garnicht, wie man mit dieser Freiheit umgehen sollte. Im Freundeskreis haben wir uns dann in eine Philosophierunde begeben, in der es um „Glück“ und „Gutes Leben“, um „Freundschaft“ oder „Liebe“ ging. Aus dieser Gruppe heraus begannen wir schließlich OpenAirs zu organisieren. Damals waren OpenAirs noch größer und spontaner. Uns hat es beeindruckt, dass Leute einfach auf die Straße gehen mit ’ner Soundanlage und für alle zugänglich – auf eine altruistische Art und Weise – Musik machen. Also haben wir uns ’n Soundsystem gebaut und sind auf die Modersohnbrücke oder unter die Elsenbrücke gegangen. Diese OpenAirs wurden schnell groß und es sind immer mehr Leute dazugekommen. Als der Winter kam, haben wir die Veranstaltungen schließlich in Clubs verlegt, so zum Beispiel die Royal Wedding im Brunnen70 damals. Auch diese Partys hatten schon den Aspekt, dass es einen Poetry Slam gab oder Theater oder man basteln konnte oder sich einen Film schaute. Dabei ging es auch oft um kritische Themen, die einen Stein ins rollen bringen. Und das interessierte uns. Für uns hatte das „Feiern“ viel damit zu tun, etwas im Leben dazu zu lernen und nicht nur diesen desruktiven Faktor. Irgendwann mussten wir aber feststellen, das so eine Art von Parties in Clubs nicht richtig funktionieren. Die Leute dort wollen feiern und brauchen kein Rahmenprogramm. So kam es letzten Endes zur Idee eines Festivals. Zu Beginn haben wir einmal beim Feel Festival mitgemacht und dann ging es peu a peu weiter, bis wir ein Team zusammen hatten, mit dem man ein Festival umsetzen konnte, so wie wir es gern hätten. Die Grundidee: Man feiert zwar, aber zusätzlich – gerade tagsüber – passieren andere Dinge. Wie eben ein interessanter Workshop oder ein Vortrag zum Bienesterben oder zum Thema Drogen, oder man baut etwas. In jedem Fall bringen diese Dinge eine zusätzliche Erfahrung mit sich, die nachhaltig ist.

Wilde Möhre 2015 from Carotta Daucus on Vimeo.

Euer Motto ist ja „Hören – Sehen – Fühlen“. Kannst du kurz erklären was dahinter steckt und wie das auf der Wilden Möhre funktioniert?

Ja, das Motto ist für uns die optimale Dreiteilung, da es die Sinne anspricht. Ich kann was hören: Das sind dann die Bands und DJ’s. Dann gibt es das Sehen: Das ist vor allem der künstlerische Aspekt, aber auch die gesamte Gestaltung des Festivals, bei der wir uns Mühe geben alles sehr detailreich zu bauen. Wir haben 300 Helfer, die viel viel Handarbeit ausüben. Dazu kommen noch Visual Artists und Tape Artists. Der andere Teil des Sehens sind die Vorträge aus der Wissenschaftshütte. Das Fühlen ist dann vor allem der Workshop-Part, also alles bei dem ich aktiv werde, mich bewege, was baue, was lerne, etc. Um wirklich einen Überblick über die Workshops zu bekommen, schaut man aber am besten auf die Webseite, denn das Angebot ist mittlerweile sehr groß.

Das stimmt! Ich habe mich beim Durchlesen aber auch gefragt: Funktioniert das? Funktionieren wissenschaftliche Vorträge auf einem Festival? Setzen sich die Leute dort wirklich hin oder sind aktiv dabei?

Die größte Herausforderung organisatorisch, war wahrscheinlich die Workshops in das Festival zu integrieren. Im ersten Jahr, ist das noch nicht so gut gelungen. Wir waren zu wenig Leute. Deswegen haben wir vor allem jetzt im dritten Jahr gesagt: Wir holen uns Experten dazu. Zehn Leute sind nun allein im Booking tätig. Und zum Beispiel Wissenschaft & Vorträge bedient eine Spezialistin, die sich auch damit auskennt und gute Leute zusammensucht. Dementsprechend ist die Qualität hoch und die Gäste interessiert es dann auch viel mehr, was dort erzählt wird.

Und was sind deine persönlichen Tipps für die Festivalplanung? Wie gehst du an so ein Wochenende heran und was empfiehlst du, um so viele Sachen wie möglich mitzunehmen?

Haha, ja auf jeden Fall erstmal am Donnerstag anreisen, mich an den See chillen und gemütlich frühstücken. Dann aufs Gelände gehen, mir die Opening Band anschauen und im Saloon ein geiles Bier trinken. Und am Freitag würde ich erstmal feiern. Später am Morgen geht man dann vielleicht nochmal auf den Puppenräuber – der kleine Floor im Wald – weil die Stimmung dort immer grandios ist. Ich würde jedoch an diesem Tag noch nicht ganz durchfeiern, sondern mich irgendwann hinlegen, so dass ich mir gegen 13 Uhr einen Workshop geben kann. Mich interessiert dieses Jahr zum Beispiel etwas über Kräuter zu erfahren, also welche man tatsächlich essen kann und wie man einen Garten anlegt. Partnermassagen würde ich gern machen und alles was für die Seele gut tut. Nachdem ich das mit meinen Freunden erlebt habe, schau ich mir am frühen Abend einen Film an und dann geht es wieder auf die Tanzfläche. Vielleicht noch ein leckeres Essen und Sonntag: definitv See.

Oh ja! Der ist besonders schön…

Ja, der große Vorteil an der „Möhre“ ist, dass es drumherum einfach Natur gibt. Alles ist vielmehr verwinkelt und nicht so großflächig, wie auf vielen kommerziellen Festivals. Bei uns entwicklen sich sogar Floors von ganz alleine. (lacht) Im ersten Jahr ist es passiert, dass Leute an die Info kamen und fragten, wo der „Healing Space“ wäre. Ich als Produktionsleiter, war eigentlich der Meinung, alle Spaces, die aufgebaut wurden, zu kennen. Doch am Ende haben Helfer einen Floor gebaut, der völlig an uns vorbeigegangen ist. Mitten im Wald, ein Wohnwagen, der einfach so geil war und mega zum Chillen einlud. Das hat mich doch sehr beeindruckt, dass man selbst als Veranstalter auf seinem eigenen Festival noch auf Entdeckungstour gehen kann.

Der Charme von einem Festival hängt meines Erachtens viel davon ab, wo es sich befindet und wie die Natur ist. Nun gibt es gerade in der Lausitz ja noch jede Menge unberührte Natur. Wie versucht ihr das miteinander zu vereinen und der Natur etwas von dem zurückzugeben, was sie euch leiht?

Gerade in der Lausitz gewinnt die Natur wieder an Bedeutung, nachdem die Region jahrezehntelang Braunkohleabbaugebiet war. Daher auch die ganzen Seen. Der Ort, an dem die Wilde Möhre stattfindet, ist tatsächlich auch noch offiziell Bergbaugebiet. Wir versuchen dennoch viele Problematiken ökologisch anzugehen. Um beispielsweise Müll zu vermeiden, benutzen wir kompostierbare Becher, stellen Taschenaschenbecher zur Verfügung oder haben Öko-Toiletten. Dann gibt es aber noch Monsterthemen, wie Strom und Anreise der Gäste. In diesem Jahr machen wir das erste Mal eine Festverstromung über ein Trafowerk. Hier investieren wir richtig viel Geld, damit wir nachhaltigen Strom verwenden können und nicht nur mit Generatoren arbeiten müssen. Das ist zum Beispiel auch ein Grund warum wir den Ticketpreis angehoben haben. Es soll für alle fair sein, auch für die Umwelt. Wem das egal ist, der ist dann auf der „Möhre“ sicherlich falsch. Die Anreise der Gäste mit eigenem Auto versuchen wir dagegen dadruch zu reduzieren, dass wir Shuttlebusse aus den Großstädten und vom Bahnhof anbieten. Auf diese Weise konnten wir den Anteil der Selbstfahrer schon auf 8 Prozent senken. Deswegen gibt es auch für Autos einen Extra-Pass, der relativ teuer ist. Am liebsten würden wir nämlich erreichen, dass die Gäste, die zum Festival kommen, bei uns weniger Co2 verbrauchen, als wenn sie zu Hause geblieben wären.

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Positiv erinner ich mich vor allem an die Kompost-Toiletten mit der Sägespäne-Methode! Das erste Festival-Klo, das auch nach drei Tagen noch nicht stinkt und gut benutzbar ist! Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Dixies finden wir echt furchtbar! Im Prinzip wurden wir von dem „Hans & Gloria Kollektiv“ inspiriert, die solche Toiletten schon vorher verwendet haben auf dem selben Gelände. Toll daran ist, dass die Hersteller der Toiletten mit ihren Einnahmen zum Beispiel den Toilettenbau in Indien oder anderen Ländern fördern. Für uns war damit relativ schnell klar, auch wenn es deutlich teurer ist als ein Dixie, wir wollen das haben!

Für immer mehr Diskussionsbedarf sorgten in den letzten Jahren die steigenden Ticketpreise auf fast allen Festivals. Diese schossen quasi wie Pilze aus dem Boden und man fragt sich, ob man für das Geld nicht auch irgendwo Urlaub im Süden machen kann. Wie lassen sich diese Preise rechtfertigen und gibt es hier genügend Transparenz?

Das wichtigste für uns sind die Gäste. Daher haben wir nach jedem Jahr, um Feedback gebeten. So waren zum Beispiel die Shuttles nicht ausreichend, es gab teilweise nicht genügend kaltes Bier und andere kleine Geschichten, bei denen wir in der Orga gemerkt haben, das unser Team leidet, wenn an bestimmten Stellen Leute fehlen. Viele Positionen wollten wir anfangs über Helfer abdecken, die kostenlos dafür am Festival teilnehmen. Aber die sind zu 90 Prozent einfach nicht erschienen. So kommt man zu dem Schluss: Wenn man die Qualität liefern will, die sich die Gäste wünschen, dann muss man mehr investieren. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass viele Leute in der Kulturbranche, an zwei Stellen Ausbeutung betreiben: Einmal bei den Künstlern und einmal bei sich selbst. Das trifft eigentlich alle. Man kann nicht bei Externen sparen, die Holz oder Technik liefern, da diese ihre Preise haben. Wir haben uns aber dafür entschieden, dass alle so abgedeckt sein müssen, dass sie ihre Miete zahlen und sich Essen kaufen können. Das gleiche gilt auch für DJ’s und Künstler. Ist das wirklich fair, wenn sie teilweise nur für den Festivaleintritt spielen? Unsere Aufgabe als Veranstalter ist es, dafür zu sorgen, dass die Leuten, die etwas darbieten eine Berechtigung haben, davon leben zu können. Nun sind wir in der Position, dies auch den Gästen erklären zu müssen. Deswegen haben wir einen Transparenzbericht herausgegeben, der all diese Faktoren aufschlüsselt. Wenn dann die Gäste meinen, dass es ihnen zu teuer ist, dann nehmen wir das hin und sprechen eben diejenigen an, die sich solche Kosten bewusst machen. Ich freue mich darüber, dass alle Festivals, oder die meisten, mittlerweile diese Erklärung bringen und sagen „Hey, wir müssen das so machen!“

Ein weiteres Projekt von euch ist das Wilde Möhre Camp. Kannst du uns dazu noch etwas sagen?

Das Camp findet nächstes Jahr vom 24. bis 30. Juli statt und ist eigentlich die Fortsetzung des Festivals. Dort gibt es mehr davon, was auf dem Festival nur angeteasert wird. Statt einer Stunde Meditation, kann man so etwas im Camp richtig erlernen. Dort gibt es dann 150 Workshops und die gehen über die ganze Woche. Dazu gehört dann auch, wie man selber Visuals erstellen oder Auflegetechniken üben kann. Dazu kommt Theater und eine Bühne mit Bands etc. Und natürlich der See. Das Camp ist also vielmehr Urlaub, als Feiern. Dennoch lässt es sich auch dort abends bei einem DJ tanzen.

Last but not least: Schon mal wilde Möhren gegessen oder wie kommt ihr auf den Namen?

Haha, nein! (lacht) Meine Freundin ist Biologin und hat mir schon viele Pflanzen gezeigt. Unter anderem die wilde Möhre. Die hat so einen tollen Blütenstamm, der – wenn die Sonnen durchscheint – tolle Visuals ergibt. Mein Traum ist deswegen immer noch, die wilde Möhre einmal zu bauen, so dass man darunter tanzen kann. Und der Name passt deswegen so gut, weil das Festival natürlich ein bisschen wild ist, aber am Ende eben auch zurück zur Natur geht.

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