Interview: Hi, my name is JuJu Rogers

, 22. September 2017 music, news, stories
HI, MY NAME IS ist unsere kontinuierliche Interview-Reihe mit talentierten Fotografen, Musikern, Künstlern und inspirierenden Persönlichkeiten. Ziemlich entspannt und sonnig war unser Treffen Juju Rogers auf dem Tempelhofer Feld. Wir sprachen mit dem Wortjongleur über Lebenserkenntnisse und Ehrlichkeit, über die Liebe zu Berlin, Pancakes, Eier und der Suche nach... na ihr werdet schon sehen.
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JuJu Rogers ist zweifelsohne ein Ausnahmetalent, wenn es darum geht Lyrics auf den Punkt zubringen und mit Worten zu jonglieren. Als einer der wenigen deutschen Rapper wagt der Schweinfurter mit amerikanischen Wurzeln dies mit Präzision in englischer Sprache. Seit seiner „Flucht“ in die Metropole Berlin manifestierte sich seine reiche Gedankenwelt und musikalische Seele bisher auf zwei erfolgreichen Platten, die unter dem Aushängeschild von Jakarta Records veröffentlicht wurden. Damit gehört er zu einem der ersten deutschen Rapper welche die Ehre hatten für das Erfolgslabel zu releasen, bei dem zuvor Szenehelden wie Anderson.Paak oder Ta-Ku Gehör fanden. Mit seinen Texten beweist der Hoffnungsträger im Bereich des Conscious Rap ein wahrhafter Geschichtenerzähler zu sein, ohne dabei jedoch an emotionaler Tiefe einzubüßen. Derzeit feilt JuJu an seinem dritten Album. Was ihn beschäftigt und was es mit dem „Taugenichts“ auf sich hat, erfahrt ihr hier.

Wer ist Juju Rogers?

Ich habe mir fast gedacht, dass diese Frage kommt und ich habe mir fast überlegt, wie ich sie beantworten soll – aber ich kann sie nicht beantworten. Das herauszufinden ist sozusagen die Leitfrage meines Lebens, nicht nur meines künstlerischen, sondern wirklich meines Lebens: Wer genau bin ich? Welche Rolle spiele ich? Wer genau könnte ich sein? Und was stellt sich die Gesellschaft in der ich lebe vor, wer ich bin? Ist es entgegengesetzt zu dem, was ich möchte?… Es ist also eine unheimlich schwierige Frage. Was ich weiß: Ich liebe Musik und kann mich mit ihr sehr gut auszudrücken und Leute erreichen. Aber die Antwort, wer ich wirklich bin, habe ich noch nicht gefunden und ich weiß auch nicht, ob ich sie jemals finden kann.

„This record is dedicated to the wretched of the earth. The weak and poor. To the people all around the world less privileged than us who are forced to live under even worse circumstances.“

Vielleicht gibt es darauf auch nicht nur eine Antwort, sondern viele verschiedene auf einem langen Weg?

Absolut. Ich beschäftige mich viel mit Lyrics, Linguistik und Worten… Im Deutschen heißt es „DAS Leben“ – als wäre es ein Subjekt – obwohl das Leben eigentlich eine Dynamik in sich hat und eher mit einem Prozess zu vergleichen ist. Ich glaube diesen Prozess versuche ich anzunehmen. Ich weiß jetzt zum Beispiel vielmehr, als ich noch vor zwei Jahren erahnt habe und ich weiß, dass ich in zwei Jahren wieder anders sein werde, dank der Erfahrungen, die wir machen. Es ist mein größter Horror für immer so zu bleiben, wie man gerade ist.

Liege ich richtig damit, dass es bei Dir nicht einfach nur ums Rappen geht, sondern darum auch wirklich etwas zu sagen? Erfährt man am ehesten, wer du bist, wenn man sich deine Songs anhört?

Wenn man meine Musik hört, dann kommt man mir sehr sehr nah. Ich glaube, ich würde das auch unterschreiben, was du gesagt hast, aber tendenziell sagt das natürlich jeder Rapper oder Künstler von sich – und dazu hat er auch jegliche Legitimation. Wenn du aus der Armut kommst und jetzt darüber rappst, dass du reich bist, hast du eine Berechtigung dazu. Ich versuche einfach ein Spiegel der Zeit zu sein und keine irrelevanten Dinge zu sagen. Ich versuche auch keine subjektiven Dinge zu sagen, im Sinne von „ich nur“ und „mein ganzer Shit“…

Also geht es darum nicht einfach nur über sich selbst zu „labern“, wie es viele andere tun?

… vor zwei Tagen hat das ein Freund ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Es gibt heute zum Beispiel einen Eloquent oder andere krasse Lyricists mit politischer Tiefe, und du hast Leute wie Celo & Abdi, wo es weniger um eine lyrische Ebene geht. Das gab es aber schon immer. Früher gab’s auch Wu-Tang und es gab MC Hammer. Ich glaube nicht, dass sich Hip Hop so dermaßen verändert hat. Es sind nur vielleicht weniger Leute, die ein politisches Bewusstsein haben. Wir leben einfach in einer Zeit, wo man sich positionieren sollte und nicht einfach nur so tun, als könnte man seinen individuellen Lifestyle leben ohne einen Effekt auf andere zu haben.

Vor allem, wenn man eine Stimme hat?

Das kommt noch dazu. Ich mag zwar nicht den pädagogischen Zeigefinger, so von wegen „Ey, ihr müsst alle so und so..“ Aber man sollte auf jeden Fall wissen, dass es Konsequenzen hat, wenn einem auf einmal 20.000 junge Menschen zu hören. Dann sollte man überlegen, was man mit ihnen teilt und was nicht.

Wie hat denn deine Liebe zu Musik angefangen?

Ich habe das Glück, dass ich in einer unfassbar musikalischen Familie aufgewachsen bin und meine Eltern das auch immer gefördert haben. Wahrscheinlich auch eher unbewusst. Ich habe mit sechs Jahren musikalische Früherziehung genossen und elf Jahre lang Trompetenunterricht genommen. Und mein Vater war einfach die Person, die mir alles gezeigt hat. Das geht weit über Hip Hop hinaus. Da gab es sehr viel Jazz, Soul- und Blues-Musik aber auch zum Beispiel Country . Er kommt aus New Orleans, Louisiana und das heißt natürlich der Einfluss des ganzen Mississippi-Sounds. Dank ihm hab ich mich erst einmal in Musik verliebt. Und wenn man dann so vierzehn ist, Trompete spielt und dann Dad einem noch Leute wie Kurtis Blow zeigt und man Hip Hop für sich entdeckt, ist es auf jeden Fall ’ne Nummer cooler. In meiner frühesten Jugend hat man sich eben auch noch sehr über Musik gesellschaftlich identifiziert: Da gab es die Punker und die Hip Hopper, und so weiter.

Stand für dich von Anfang an fest, dass du auf Englisch rappst?

Haha. Nee, ich habe zuerst auf Deutsch geschrieben und es war so unfassbar schlecht. Ich bin auf englischsprachiger Musik groß geworden. Deutsch ist so eine super schöne Sprache, vor allem in der Poesie. Aber ich habe einfach nicht die Skillz, sie so rüber zu bringen. Da gibt es ganz andere Homies, die das viel besser können.

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A propos Poesie: Der Name deines Debütalbum „From The Life Of A Good-For-Nothing“ ist an Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ angelehnt, worum geht’s?

Genau die Eichendorff-Story eben! Für mich hat Musik immer viel mit Emotionalität und Spiritualität zu tun. Ich bin zwei Mal in der Schule durchgefallen, weil ich gedacht habe, ich muss wild und cool sein. Das heißt ich habe fünfzehn Jahre in der Schule verbracht und in diesen fünfzehn Jahren habe ich ungelogen ein Buch gelesen und das war „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Eichendorff. Es hat mich von Anfang an gefesselt und ich dachte: Das ist meine Story! Ein kleiner Träumer der Musik macht und alle sagen, „oh Mann, du musst einen normalen Job machen“ und dann haut er ab und es hat trotzdem funktioniert. Und so ist es bis heute. Ich komme aus einer Kugellagerindustrie-Stadt und die Jungs sind immer noch am Schicht arbeiten. Ich habe drei Semester in Bamberg studiert, und es war mir einfach zu beschissen. Nachdem ich jahrelang in der Schule gesessen habe, wurde mir gesagt, dass es an der Uni anders ist und es war der gleiche Mist: Rezitieren, funktionieren und gar nichts verstehen. Und dann habe ich Hals über Kopf meine Sachen gepackt wie der junge Taugenichts. Ein sehr guter Freund schrieb mir damals: „Komm hier nach Berlin und mach Musik!“ … Ich habe einfach gemerkt, dass der „normale Werdegang“ nicht mein Weg ist. Das muss auch nicht jeder verstehen.

Welchen Einfluss hat Berlin auf deine Musik?

Berlin ist eine super krasse, dynamische und energetische Stadt. Ich bin charakterlich sehr gewachsen in dieser Stadt und sie bietet unfassbar viele künstlerische Möglichkeiten. Für mich war das als Landei krass plötzlich in einer Millionenmetropole zu leben und den Lebensstil und die Gefahren, die damit verbunden sind, mitzubekommen – aber natürlich auch die Freiheiten. Viele Jungs sind wieder kaputt zurück nach Schweinfurt gegangen, weil sie mit der Freiheit, Drogen und anderem nicht klar kamen. Im Bezug auf das, was ich musikalisch bisher veröffentlicht habe, konnte man den Einfluss der Stadt noch nicht hören. Das erste Album ist ja auf dem Weg hierher entstanden und das zweite war eher ein politisches Projekt. Aber mit dem nächsten wird man den Einfluss Berlins auf jeden Fall noch viel deutlicher hören.

„Some will be on their feet working really hard for green. And then you have the ones who always sleep and love to dream.“

Wo gehst du in Berlin am ehesten auf Entdeckungstouren?

Auf Entdeckungstour geh ich unglaublich gern. Für mich ist eine U-Bahnfahrt schon ein Kino. Ich setze meine Kopfhörer auf und tue so, als höre ich Musik, aber ich höre gar keine und lausche was abgeht. Ich spaziere gern durch die ganze Stadt. Mit meinem Dad neulich hunderte von Kilometern. Aber ich geh sehr selten weg und kenne eigentlich die wenigsten Berliner Clubs. Wenn, dann gehe ich eher auf Konzerte. Im YAAM bin ich ziemlich gern. Aber ansonsten bin ich auch gern zu Hause.

Drei Lieblingsworte?

Deutsche Wörter? … Mmmmh. Als erstes würde ich „fei“ sagen. Das ist ein fränkisches Wort und kein anderer Mensch versteht so richtig was es heißt. Ich kann es dir auch nicht wirklich sagen. „Es ist fei richtig kalt“, zum Beispiel…
Das zweite Wort, was ich geil finde, ist „Schnüdel“…in der deutsche Sprache gibt es immer spezifische Worte. Im Englischen dagegen meistens ein Wort und ganz viele Bedeutungen. Da kommt es oft auf den Kontext an. Ein Schnüdel früher war, das kleine Ding an der Naht von einem Ball, als es noch Lederbälle gab. Und so hat man dann einen Fußballverein genannt. Die Schnüdel des FC Schweinfurt. Haha. Ich bin ein großer Fan!
Und das dritte Wort ist Liberation. Das bewegt mich krass.

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Träumer oder Vernunftsmensch?

Ha! Sowohl als auch. Ich liebe das Träumen und ich glaube man hat uns in Westeuropa versucht das Träumen abzugewöhnen. Ich bin aber auch kein Freund von übertriebenen hippiesken Träumereien. Manchmal braucht es ein Stück Realismus. In meiner Musik versuche ich immer eine gute Mischung zu finden. Ich will zum Beispiel nicht schön reden wie die Situation in der Welt ist, dass alle fünf Sekunden ein Kind verhungert. Gleichzeitig hab ich natürlich einen riesengroßen Traum, dass das nicht so ist.

You know the deal, we roll like wheels, my folks is real, from dome to heel, we wont keep still.

Überraschung oder Kontrolle?

Kontrolle! Bitte keine Überraschung! Ich bin echt ein emotionaler Mensch und mit den Überraschungen ist es dann immer ein bisschen tricky. Ich versuche oft so gut wie möglich die Kontrolle zu bewahren. Es gelingt mir natürlich fast nie.

Pancake oder Frühstücksei?

Ich bin mit Pancakes aufgewachsen und mein Vater hat mir immer die geilsten Pancakes überhaupt gemacht. Aber ich schwöre: Seit ich in Berlin lebe, gehe ich fast jeden Morgen zur gleichen Bäckerei und hole mir Eier mit Sucuk… „Coffee and Bakery“ auf der Sonnenallee, Ecke Fuldastraße! Seit heute sind sie leider drei Wochen im Urlaub. Horror!

Last but not least: Deine Frage.

Anstatt „Who I am?“ würde ich lieber fragen „Who are you?“… Wenn das jemand liest, würde ich mir so sehr wünschen, dass sich die Menschen selbst hinterfragen: Was ist meine Position in der Gesellschaft, welche Privilegien habe ich, welche habe ich nicht. Nicht einfach nur da sein. Denn wir sind keine Roboter.