SICILIAN NOTES ist eine kontinuierliche Serie, die euch Einblicke in mein Leben in Sizilien bietet und euch spannende Projekte, Persönlichkeiten und versteckte Orte vorstellt. Einer dieser legendären Orte ist Pizzo Sella: Eine geisterhafte und unvollendete Wohnsiedlung vor den Toren Palermos, die einst mafiöse Bauunternehmen reich machte und heute von der Künstlergruppe Fare Ala in ein Street Art Village umgewandelt wird. Mit Murales und Graffiti regen sie politische Debatten an und setzen ein kreatives Zeichen für die Zukunft.

Wenige Kilometer außerhalb Palermos erhebt sich über dem hellweißen Sandstrand des Urlaubsortes Mondello die karge Hügellandschaft von Pizzo Sella. 560 Meter ragt der Berg über dem Meer hervor und rahmt die Ebene der sizilianischen Metropolstadt an der Nordwestseite ein. Ein Berg wie jeder andere, doch die Geschichte von Pizzo Sella erzählt Bände über die jüngste Vergangenheit des Landes.

Bereits aus der Ferne sticht dem findigen Auge eine Sonderheit entgegen. Geometrisch wie Bauklötze klebt bis hinauf zur Spitze eine Gallion von Häusern an der Felswand. Zwischen den meisten der Gebäude befindet sich nicht einmal eine Straße, die sie zugänglich macht. Sobald die Sonne blutrot im Meer versinkt, werden die von Straßenlaternen umleuchtet und funkeln aus der Distanz, ähnlich den Kerzen eines Weihnachtsbaumes – so zu mindestens nennen die Einheimischen das verrufene Baukonstrukt über den Dächern der Stadt. Doch was ist genau passiert?

Es ist 1978. Das Unternehmen Sicilcalce Spa, geleitet von Andrea Notaro, Bruder des Cosa Nostra „Papsts“ Michele Greco, erlangt Hunderte von zweifelhaften Baugenehmigungen, die eine Grundstücksaufteilung von rund einer Million Quadratmeter Erde zur Folge haben. In Zuge einer Privatisierung wird beinahe der komplette Berg abgeholzt und bebaut. Bis heute gilt Pizzo Sella damit als letzter verheerender Beweis für den sogenannten „Sacco di Palermo“. Mit diesem Ausdruck bezeichnen die Sizilianer den von der Mafia geförderten Baumboom, der zwischen den 1950er und 1980er Jahren zur Zerstörung zahlreicher Grünflächen und Jugendstil-Villen Palermos führte und das Erscheinungsbild der Stadt drastisch veränderte.

Auch nach Jahren endloser rechtlicher Verfahren und hitziger Diskussionen unter den Bürgern bleibt die Wohnsiedlung von Pizzo Sella auf diese Weise annähernd eine Geisterstadt. Nur 59 der 170 errichteten Häuser des Hangs sind heute bewohnt. Die restlichen halbfertig gestellten Gebäude manifestieren als traurige Skelette den unbarmherzigen Eingriff in die Natur.

Doch genauso wie in Sizilien die Spuren der Vergangenheit nur schwerlich wegzuradieren sind, genauso entstehen überall eisern und unaufhörlich Initiativen und Gruppen, die für eine alternative und bessere Zukunft kämpfen. Eine von ihnen ist das Kunstkollektiv Fare Ala, das 2009 in Palermo von verschiedenen Künstlern gegründet wurde, um eine offene Diskussion über politische Kontroversen zu ermöglichen und diese dabei mit künstlerischer Praxis im urbanen Raums zu verbinden. Diese Intention verfolgen sie seit 2013 auch mit dem Projekt „Pizzo Sella Art Village“.

Die Idee dahinter: Zum einen verändern die Interventionen verschiedener lokaler Künstler oder internationaler Artists von Zeit zu Zeit die ästhetische Wirkung der verlassenen Häuser, zum anderen versuchte das Kollektiv mit bewusst ironischen Kommunikationsstrategien die öffentliche Debatte über das Arial wieder anzufachen. So verkündeten sie mithilfe einer Website, Facebook-Page, TripAdvisor, Videos und weiterer Aktionen die Errichtung eines imaginären 5-Sterne-Ferienressorts: Das Pizzo Sella Art.

© Fare Ala

© Fare Ala

Pizzo Sella ist damit zu einem neuen Symbol geworden, das künstlerisches Schaffen und die Geschichte von Mafia, illegalen Amnestien und korrupter Verwaltungen vereint. Trotz des verboten Zugangs zum Wohnkomplex, gibt es Wege, die zum Gipfel von Pizzo Sella führen und mit dem Naturschutzgebiet Capo Gallo verbunden sind. Von oben bietet sich ein atemberaubenden Blick auf die Klippen, das Meer und die Stadt. Einzigartige Sichtweisen, die von der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft zeugen. Erneute Aufmerksamkeit bekam das Projekt zuletzt dank der Aktion des Architekturkollektivs Rotor im Rahmen der internationalen Nomadenbiennale Manifesta12. Mit der Installation „Da quassù è tutta un’altra cosa“ entdeckt Rotor den alten Bergpfad und verwandelt ein Betonskelett zu einem Aussichtspunkt für atemberaubende Ausblicke.

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all pictures © Siciscatta