Während ich versuche mich für die kommenden zehn Tage in meinem alten 12 Quadratmeter Kinderzimmer einigermaßen wohnlich einzurichten, reflektieren sich die Lichter des Erzgebirger Schwibbogens schummrig vor dem tiefen Schwarz der dunklen Wintertage. Ich schiebe mir unbemerkt meinen dritten Vanillekipferl in den Mund und scrolle mich durch das immer mächtiger werdende Sammelsurium bunter Schnappschüsse. Leicht melancholisch werden in meiner Hand Erinnerungen lebendig. Jedes bunte Bildchen, ein Moment. Jedes bunte Bildchen, ein Spiegelsplitter der vergangenen zwölf Monate. Dezember. Weihnachten. Und es ist wieder soweit. Die Frage der Fragen hackt hinter meinen Schläfen: Was bleibt?

Als ich darüber sinnierte wem oder was ich mein MINDGAME zum Jahresende widme, schossen mir hunderte von Dingen durch den Kopf. Vielleicht eine philosophische Grundsatzdebatte über die Schnelllebigkeit und Verschwendung unserer Zeit? „Escape the Game“–Sehnsüchte oder doch eher soziale Fragen? Genügend besorgniserregende Warnschüsse kamen in diesem Jahr aus allen Ecken der Gesellschaft. Ich selbst erlebte die vielfachen kulturellen und politischen Zweifel irgendwo zwischen Europas südlichsten Zipfel Sizilien und dem pulsierendem Herz Berlin. Nicht nur politisch, sondern auch privat schipperte ich mich durch stürmische Wogen, auf und ab. Dabei erklang sich wie oft im Leben an vielen Stellen ein unfassbares „Wow!“ und an anderen ein zerschmetternde „Es geht nicht mehr!“. Und auch wenn diesen Sommer überall in Europa die Sonne ohne Unterbrechung schien, bleibt für mich am Ende der Regen.

Bevor ich mich wehleidig vom letzten Fingernagel verabschiede (wohl gemerkt nach zwei monatiger Abstinenz, in der ich glaubte endlich eine richtige Frau geworden zu sein!), schiebe ich mir lieber schnell den vierten ‚Kipferl zwischen die Zähne und habe sie endlich gefunden: meine Idee! Um euch schwermütige Endloskritiken zu ersparen und mein eigenes Weihnachten besser zu verdauen, widme ich dieses Stück Schreibtherapie jenen Menschen, ohne die ich in diesem Jahr, sowie in den vergangenen Jahren sprichwörtlich aufgeschmissen gewesen wäre: Meinen persönlichen Weihnachtsengeln!

Ja, was wäre das Leben ohne Freunde! Gerade zu Weihnachten, wenn die Gefahr groß ist, dass der Familiensegen schief hängt und oft ein offenes Ohr wichtiger wird, als das teuerste Geschenk, dann wird eine „Ersatzfamilie“ aus vertrauten Freunden zum Balsam für die Seele. Ich habe das Glück seit vielen Jahren echte Powerfrauen an meiner Seite zu haben. Seltene Juwele, die ich über die Jahre auf meinem Weg gefunden habe und die einzigartig und unverzichtbar sind. Egal wieviele Kilometer oftmals zwischen uns gelegen haben oder liegen, diese Engel bringen mein Leben zum Leuchten und haben es verdient im Mittelpunkt meines Festes zu stehen.

Perle Nummer Eins ist mein Fels in der Brandung und auserwählte Seelengefährtin Saskia. Das Wort Heim hat bei ihr von Geburt aus eine Mehrfachbedeutung und so ist die Frau mit dreifacher Identität eine Kosmopolitin von Haus aus. Keiner ist komplexer als dieses unerschütterliche Krebstierchen. Als Meisterin der Skepsis und Achtsamkeit weiß sie sich mit ihrer unerschütterlichen Schale zu schützen. Menschen mit ehrlichem Verstand und geduldigem Herzen erlangen jedoch Zutritt zu ihrem eigentlich Kern, dessen Magie und Genialität eine Bereicherung fürs Leben ist. Ihr analytischer Blick, der sich vor allem emotionalen Fragen und der seelischen Erkenntnis widmet, fasziniert mich bis heute. Es gibt niemanden mit dem ich so gut Pferde stehlen und die Nacht zum Tage machen kann – denn wenn Saskia tanzt, dann erfüllt sich jeder Raum mit Energie und die Zeit scheint atemlos stehen zu bleiben. Auch wenn sie manchmal, treu ihrer Natur, zweifelt, hat Sie die Regie beharr im Griff – nicht nur im Job, sondern auch im Leben.

Die zweite Frau an meiner Seite traf ich vor gut sechs Jahren zum ersten Mal in Berlin. Damals schneite sie in einer eiskalten Februarnacht kurz herein um danach dauerhaft zu bleiben. Sie heißt Nicole und wenn sie die Bühne des Alltags betritt, scheint es, als ob Sonne und Mond zeitgleich explodieren. Ihr Temperament, ihr Enthusiasmus und ihre Hingabe zu den Dingen und den Menschen, die ihr am Herzen liegen, ist schlicht weg einnehmend. Mit ihrem Projekt Mikrokosmos verblüfft sie nicht nur die Berliner Gastronomie und Medienwelt, sondern oftmals auch sich selbst. Habt ihr schon einmal Heuschrecken oder Mehlwürmer gegessen? Nein! Dann fehlt euch vielleicht der Mut zum ersten Bissen! Nicole bereicherte meine Leben immer wieder mit Mut, davon hat sie reichlich. Erkennen könnt ihr sie an ihrer Reibeisenstimme und elfengleichen Charme. Auch wenn in ihrem eigenen Leben, nicht immer alles rund läuft, prescht sie nach vorn. Dafür zolle ich höchsten Respekt und danke ihr für die ansteckende Wirkung.

Der dritte Engel im Bunde, den ich im Mai in Berlin zurückließ, ist eine Frau, die ihre Liebe zur Welt und den Menschen mit schlagkräftigen Beats unterlegt. Autumn aka Rotem oder besser bekannt als J.Lamotta ist in mein Leben getreten wie eine zauberhafte Melodie. Seitdem verbreitet sie dort vor allem Harmonie und Besonnenheit. Genauso wie ihre Songs trägt die israelische Sängerin mit marokkanischen Wurzeln unglaublich viel Wärme und Licht in sich. Diese versucht sie mit Geduld und Einfühlungsvermögen an andere weiterzugeben. Unerwartet und wunderbar verwandelt sie sich dabei jedoch regelmäßig in ein „cheeky girl“, dass sich in der Männerwelt durchzusetzen weiß und mich zum Lachen bringt.

Lange Zeit getrennt und erneut in Palermo vereint wurde ich in diesem Jahr mit Weihnachtsengel Nummer vier: Roberta! Die 1,80–Meter-Löwin mit wilder Mähne beißt sich durch das Leben mit Intelligenz und einer gehörigen Portion Durchsetzungskraft. Keiner kann sich selbst so schön albern auf die Schippe nehmen und dabei die Welt in ihrem Kern erfassen. Ernsthaft, ausgelassen, sentimental, befreit. Roberta ist oftmals der wundervollste Widerspruch, den Italien gesehen hat. Ihren Gefühlen lässt sie mit Karacho freien Lauf und beeindruckt gleichzeitig mit philosophischer Raffinesse. Bereits ein Chat mit ihr, wird zur poetischen Abenteuergeschichte und als Gründer des Startups Ludwig beweist sie ihr universales Können. So wie Ludwig der Welt hilft fehlerfrei zu kommunizieren, hilft mir Robertas persönliche Sprache die Welt besser zu verstehen.

Neben diesen fulminanten Frauen, denen mein besonderer Dank in diesem Jahr gilt und die mich mit ihren Worten und offenem Ohr durch den Alltag brachten, gibt es eine ganze Handvoll weiterer einzigartiger Geschöpfe, denen ich zu tiefst verbunden bin. Ich bin mir sicher, dass jeder von euch solche Engel in seinem Leben hat. Ergreift die Gelegenheit und zeigt ihnen euren Dank und Liebe. Das geht nicht nur zu Weihnachten, wenn die Welt so schön duselig und sentimental wird, sondern jeden Tag!

Photos by Helen Hecker