Wie jedes Jahr schwirrte ich mal wieder im Getümmel eines der größten Filmfestivals Europas herum und pickte mir jene Filmperlen heraus, die es nicht unbedingt auf die deutsche Kinoleinwand schaffen. Dabei war das Thema der diesjährigen Berlinale eine Hommage an den Slogan der Frauenbewegung der 1968er: Das Private is politisch. Doch welchen Einfluss haben private Erlebnisse und Geschichten tatsächlich auf die öffentliche Meinung und vor allem auf unser eigenes Leben?

Um dieser Frage auf die Spur zu gehen, habe ich mich von Filmen inspirieren lassen, die intim und unaufdringlich Familiengeschichten erzählen, deren Kern sich jedoch den Problemen unserer Zeit widmet. Der erste großartige Leinwandstreifen in meinem Filmprogramm war dabei die Story des dänisch-palästinensischen Regisseurs Omar Shargawi. In Western Arabs widmet sich der Filmemacher der Frage, ob das Trauma von Krieg und Vertreibung auch an die nächsten Generationen weitergereicht werden. Um seinen Vater Munir besser zu verstehen, beginnt Omar seine Familie zu filme. Über 12 Jahre. In schonungslosen und persönlichen Bildern setzt sich der Regisseur mit seinen eigenen Wurzeln und dem Clash der Kulturen im moderaten Dänemark auseinander. Aufgewachsen in einer Familie, in der Gewalt und Aggression als Mittel der Problemlösung gelten, will der Filmemacher vor allem seine eigene aufbrausende und oft so verpönte Art verstehen.

Während ich den Film sah wurde mir schlagartig bewusst, wie sehr wie von den Geschichten unserer eigenen Eltern oder Großaltern beeinflusst sind und welche Verantwortung wir nicht nur für unser eigenes Leben tragen, sondern auch für jene Generationen, die nach uns kommen. Gewalt und Flucht hinterlassen tiefe Narben auf der Seele und in der Geschichte. Die Spuren sind nicht so einfach wegzuwischen, weder mit einem Neuanfang fern der Heimat noch Wohlstand. Damit wird jede einzelnes Schicksal auch ein Puzzleteil, welches das große Bild unserer Gesellschaft zusammensetzt. Umso schmerzlicher die Erfahrungen waren, umso hoffnungsloser ist die Zukunft.

Der zweite Film, der mich zu tiefst beeindruckt hat, war eine Überraschung aus Fernost. Die chinesische Regisseurin Xiang Zi erzählt in ihrem virtuosen Leinwandwerk A Bog Barking at the Moon die Geschichte einer wohlhabenden chinesischen Familie. Huangs Mutter entdeckt bereits früh die Homosexualität ihres Mannes, dennoch sperrt sie sich gegen eine Scheidung. Von Bitterkeit und Enttäuschung getrieben befasst sich der Film, auf mehreren Zeitebenen gleichzeitig und verwebt durch surreale Bilder, mit kulturellen und gesellschaftlichen Konventionen, unterdrücktem Begehren, religiösem Fanatismus sowie unerfüllter Liebe.

Xiang Zis Film verdeutlichte mir wie sehr wie unser eigenes Glück oftmals an gesellschaftliche Normen knüpfen und auch damit einen entscheidenden Einfluss auf die Menschen um uns herum nehmen. Gleichzeitig machte der Film Hoffnung auf den Kampf der neuen Generationen für mehr persönliche Freiheiten und Offenheit. Er bricht Tabus und damit auch die Chronik des Schweigens.

Beide Filme machen jedoch noch etwas anderes deutlich: Die Geschichten um uns herum können inspirieren. Vielleicht können sie die Welt nicht immer sofort verändern und unsere eigenen Probleme und Schicksale befreien, aber sie helfen uns mit dem Blick von außen, bestimmt Dynamiken besser zu verstehen und zu hinterfragen. Genau dies ist der Zauber des Kino und macht die politische Schlagkraft von Filmen bewusst. Auch wenn sie ganz privat sind.