HI, MY NAME IS ist der einfallslose Titel für unsere kontinuierliche Interview-Reihe mit talentierten Fotografen, Musikern, Künstlern und inspirierenden Persönlichkeiten unserer Zeit. Dieses Mal möchte ich euch Chris Obehi vorstellen, ein junges Talent aus Nigeria, dessen Musik nicht nur direkt ins Ohr geht, sondern auch eine klare Botschaft an die Welt da draußen schickt.

Das erste Mal hörte ich Chris Obehi vor wenigen Wochen auf den Straßen der italienischen Stadt Palermos spielen. Eigentlich war ich gerade dabei nach Hause zu gehen, doch sein Gesang und der Vibe, der die zahlreichen Menschen, die sich um ihn versammelt hatten, in den Bann zogen, ging auch an mir nicht spurlos vorüber. Chris war auf Busking Tour durch Palermo, um Stimmen für eine Crowdfunding Kampagne zu sammeln, die einen Traum für ihn verwirklichen sollte: Seine erste eigene Platte!

Der 22-Jährige verließ seine Heimat Nigeria vor gut vier Jahren. Religiöse Spannungen und Konflikte provoziert durch die islamistische Gruppierung Boko Haram machen derzeit das Leben im Land zunehmend gefährlicher. Deshalb entschied Chris sein zu Hause und seine Familie zu verlassen. Seine Reise dauerte fünf Monate. Bevor er Europa erreichte erlebte er den Schrecken der libyschen Gefängnisse am eigenen Leib. Auch Jahre nach seiner Ankunft in Italien fällt es ihm schwer darüber zu sprechen. Doch der talentierte Musiker hat eine Vision, die ihn ständig antreibt und die in seinen Liedern mit aller Kraft entspringt: Musik! Sie ist sein Motor und Energiequelle und macht ihn zu einem Newcomer, den man auf dem Schirm haben sollte. Ich bat den Mann, durch dessen Blut der Beat fließt, um ein Interview:

Alles begann mit…

Mein Dad liebt Bob Marley. Jeden Tag wenn er von der Arbeit nach Hause kam, legte er Songs wie „Could you be loved“ auf. Dann hörte er einen Track nach dem anderen. Zu Hause bei uns gab es also Reggae Flow und Old School Funk der 70er und 80er Jahre. Haha! Das wird ganz automatisch zum Loop in deinem Kopf.

Du bist also bereits mit Musik aufgewachsen?

Ja genau! Meine Mum war außerdem Sängerin in einem Gospelchor mit einem kleinen Orchester und allen möglichen Instrumenten. Und wenn sie zu Hause putze, sang sie die ganze Zeit dabei! Ich wünschte mir also immer mehr selbst ein Instrument spielen zu können.

Also hast du Gitarre spielen gelernt?

Nein, mein erstes Instrument war die Drums! Weißt du, egal welches Instrument du spielst, das entscheidende ist der Rhythmus! Deswegen wollte ich Schlagzeug lernen! Das ist die Basis von allem! Also fing ich an in der Kirche und auf Hochzeiten zu spielen. Dann lernte ich einen Jungen, kennen der Klavier spielte und wollte unbedingt auch dieses Instrument lernen. Ich fragte ihn, ob er mir das Klavierspielen beibringen kann und er gab mir einige Insides. Wir hatten jedoch kein Klavier zu Hause und mein Onkel, der in der Kirche spielte, ließ mich ab und zu zu schauen. Eines Tages klettere ich dann durchs Kirchenfenster und als alle weg waren, begann ich zu üben. Irgendwann entdeckte mich mein Onkel beim Spielen und erklärte sich dazu bereit mir einige Handgriffe zeigen. Schließlich brachte ich mir dann selbst noch Bass bei. Ich wachte in der Nacht auf, schnappt mir den Bassgitarre und… do do do do do… spielte immer wieder die selben Loops. So fing alles an.

Hast du immer schon allein gespielt?

Nein. In Nigeria fragte mich irgendwann ein Freund, ob ich Lust hätte mit ihm gemeinsam in einer Band zu spielen, um vor allem auf Hochzeiten ein wenig Geld zu verdienen. Also brachten wir uns selbst jede Menge Soul- und Gospel Songs und Afrobeat bei. Wenn du Lieder allein auf Gehör nachspielst, lernst du sie auf deine Weise. Du nimmst ein paar Riffs dazu, änderst das Tempo und so weiter. Das half mir schnell immer besser zu werden und meinen eigenen Stil zu entwickeln.

Wann trafst du die Entscheidung Nigeria zu verlassen?

In Nigeria gibt es seit vielen Jahren all diese politischen Konflikte zwischen unterschiedlichen Stämmen und Religionen. Das nimmt kein Ende. Kirche werden zerbombt und angezündet, Menschen entführt, auch Freunde, die dir nahestehen. Also fühlte ich mich nicht mehr sicher. Ich hatte den Traum Musik zu studieren, wollte einfach ganz normal zur Schule gehen und irgendwann die Möglichkeit haben auf der ganzen Welt zu spielen. San Francisco! England! Tokio! … Deswegen entschied ich Nigeria zu verlassen. Das war nicht leicht. Am Ende ist es nie eine einhundertprozentige Entscheidung, weil du nie genau weißt, was du sehen und mit was du in Kontakt kommen wirst. Mir war nicht wirklich klar, was ich erleben werde, aber ich hatte eine Vision. Ich sagte mir: „Ich muss es probieren!“ und nahm das Risiko in Kauf. Dann kam ich nach Libyen und steckte dort fest. Das war einfach nur schrecklich.

Wie bist du dann nach Palermo gekommen?

Ich lebe jetzt seit drei Jahren hier in Palermo, aber bin damals auf Lampedusa gelandet, wo ich nur eine Woche blieb. Dann ging es weiter nach Messina (eine Stadt im Osten Siziliens). Dort verbrachte ich circa vier Monate und schließlich brachte man mich nach Palermo. Hier traf ich endlich viele andere Menschen aus der Musikszene.

Music is always the bond. It brings people together. Music doesn’t look at your race when there’s pure music. It doesn’t have to look where you came from. If you are short or tall. If you can speak English or if you speak Chinese. It’s the universal language.

Und die Musik? Wie ging es weiter?

Ich wohnte dann in einer Flüchtlingsunterkunft für Minderjährige und entdeckte beim Scrollen durch Facebook eine Jam Session, die jeden Abend stattfand. Also ging ich dorthin und sie fragten mich, ob ich spielen möchte. „Ich sagte, ja! Bass!“ und sie riefen mich auf die Bühne. Ich begann zu spielen und alle blieben baff über meinen funky Style. Marcus Miller like! Haha. So begann ich mich mit anderen Musikern zu connecten. Weißt du, Musik ist das Band, das Menschen zusammenbringt. Musik kennt keine Rassen. Sie ist pur. Sie fragt nicht danach woher du kommst. Wie du aussiehst. Ob du groß oder klein bist. Ob du Englisch oder Chinesisch sprichst. Musik ist die universelle Sprache.

Wie kam es dann dazu, dass du angefangen hast Lieder auf Sizilianisch zu singen?

Haha. Dahinter verbirgt sich eine Geschichte. Während einer der Jam Sessions traf ich einen Musiker, der in Palermo in einer Band spielt, die „Famiglia del Sud“ heißt und traditionelle sizilianische Lieder mit Reggae und Ähnlichem mixt. Da sie auf der Suche nach einem Bassisten waren, fragte er mich irgendwann, ob ich in ihrer Band spielen will. Also begann ich mit ihnen für das erste gemeinsame Konzert zu proben und hing mich wie verrückt dahinter, um mein Bestes zu geben. Dabei spielten wir einen Song von Rosa Balistreri (Anm. Redaktion: eine in Sizilien gefeierte Folksängerin aus den Sechziger Jahren). Irgendetwas an dem Song gefiel mir. Vielleicht wegen dem Tambourin und den afrikanischen Rhythmen darin. Also begann ich ihn zu Hause auf der Gitarre zu üben.

Und das hat das Herz der Sizilianer schmelzen lassen?

Am Anfang habe ich kein Wort des Liedes verstanden. Ich spielte erst seit ein paar Monaten Gitarre und suchte nach einer langsamen Version. Tag für Tag übte ich mit YouTube. Stück für Stück verstand ich worum es ging. Bis ich es irgendwann auf meine Art interpretierte. Darüber war ich so glücklich, dass ich mir die Gitarre schnappte und den Song auf der Straße spielte. Haha! Du hättest die Gesichter der Leute sehen sollen! Sie konnten es nicht fassen, dass ein Schwarzer ihre Rosa Balistreri spielte. Dann kamen zwei Journalisten des Magazins Palermo Today vorbei und fragten mich, ob sie ein ein kleines Interview mit mir machen können. Das war mein erstes Interview. Das Video was sie aufnahmen ging online quasi über Nacht viral. Alle möglichen Leute riefen mich an und sagten: „Chris du bist in den News!“ Danach wurde ich von Produzioni dal Basso und Indigo Records kontaktiert, die mir dabei halfen eine Crowdfunding Kampagne zu launchen, um meine erste eigene EP zu produzieren.

Und abgesehen von Rosa Balistreri? Welche anderen Musiker haben dich inspiriert?

Ich liebe zum Beispiel die Songs des Italieners Mannarino. Auch Seal und The Police inspirieren mich. Oder weibliche Künstlerinnen wie Beyonce und Rihanna. In Nigeria habe ich Rihanna rauf und runter gehört und mir gesagt, dass ich irgendwann mit ihr spielen werde!

Wie würdest du deine Musik mit drei Worten beschreiben?

Integration. Love. Indiscrimination.

Laut vs. leise?

Die meiste Zeit bevorzuge ich es leise und soft, oder besser gesagt, emotional. Aber nicht immer!

Allein vs. zusammen?

Das hängt ganz von der Situation ab. Meistens mag ich es auf mich selbst gestellt zu sein und mich der Musik völlig hinzugeben. Aber es ist oft auch super mit anderen zusammen zu spielen.

Etwas, dass du genießt?

Pasta essen!

Etwas, dass du niemals machen würdest?

Mein Leben erneut aufs Spiel zu setzen.

Nigeria vs. Italy.

Hier in Sizilien haben die Menschen einiges mit uns Nigerianern gemeinsam. Nicht nur die Musik, sondern auch ihre Art auf andere zu zugehen. Im Norden ist das vielleicht schon wieder etwas anders.

Chris, du nimmst zur Zeit an einem Musikwettbewerb teil, der sich gegen die Mafia in der Welt und Grenzen richtet. Was bedeutet dies für dich?

Oftmals wird Menschen ein Stempel aufgedrückt. So werden zum Beispiel Sizilianer oder Italiener automatisch zu Mafiosi. Und das gleiche lässt sich auf alle möglichen anderen Vorurteile übertragen. Mit den Liedern wollen wir gegen diese engstirnige Welt ankämpfen. Denn nicht jeder ist gleich. Wir sind alle verschieden und am Ende zählt, was hinter jeder einzelnen Person steckt. Ich nehme deswegen mit meinem Song „Non siamo pesci“ (dt. Wir sind keine Fische) an dem Wettbewerb teil, für den man noch bis zum 21. November 2019 hier voten kann.

Wie geht es jetzt nach der Crowdfunding Kampagne weiter?

Ja es ist unglaublich wir haben das Ziel von 5000 Euro dank der Hilfe aller erreicht und jetzt arbeite ich im Studio von Indigo Records tatsächlich an meiner ersten eigenen EP, die im Frühling 2020 erscheinen wird. Und in meiner restlichen Zeit habe ich nun am Konservatorium von Palermo angefangen Kontrabass zu studieren.

Last but not least: Deine Frage.

Wann werden wir uns in Berlin treffen?

Ihr wollt mehr über Chris Obehi erfahren, dann folgt ihm auf FB + Insta.