Wahre Liebe zeigt oftmals auch ihre Krallen. Sie ist nicht nur einfach, nett und süß, sondern lässt unsere Emotionen und Gefühle aufkochen bis wir sie in all ihren Dimensionen und ihrer Intensität spüren. Genauso ist Beirut. Unfassbar, kontrovers und leidenschaftlich. Mittelmaß gibt es hier nicht. Das viel besagte "Paris des Nahen Ostens" ist eine Stadt der Extreme. Diese sind so faszinierend und uferlos, dass man gar nicht anders kann, als ihrem Charme zu verfallen. Arm trifft auf Reich, Moderne auf Traditionen, Clubkultur auf Religion und Kosmopoliten auf Lokalpatrioten. Lasst all eure Vorurteile zu Hause und folgt mir auf eine Reise, die Grenzen überschreitet...

Bevor wir unsere Flüge nach Beirut gebucht hatten, wurden wir von einigen Zweifeln geprägt: Ist der Libanon ein sicheres Reiseziel, wie fühlt es sich an nur wenige Kilometer von Syrien entfernt Urlaub zu machen, welche kulturellen Spannungen werden uns in Beirut erwarten und vor allem: wie einfach oder schwer ist es sich dort frei umher zu bewegen? Reist man nach Beirut, dann sollte dies gewiss eine Entscheidung sein, die nicht nur aus dem Bauch herauskommt, sondern ganz bewusst getroffen. Weniger aus Sicherheitsbedenken, vielmehr aufgrund der kulturellen und politischen Gegebenheiten, die das Land prägen und Hand in Hand mit der Erkundung des Libanons gehen. Bereits bei der Ankunft am Flughafen (in unserem Fall war das nachts 2 Uhr) zeigt sich sofort, dass es sich um eine Region handelt, deren traurige Vergangenheit und angespannte gegenwärtige Lage überall spürbar sind. Schwer bewaffnetes Militär an allen Pforten und strenge Sicherheitskontrollen machen den Krisenherd im Nahen Osten deutlich. Nichtsdestotrotz erkannten wir gleichzeitig wie offen Beirut ist. Stets ein Lächeln auf freundlichen Gesichtern, Menschen aller Façon und unverhüllter Freimut machten unsere Reise perfekt.

Von A nach B: Beiruts Taxi Connection

Am Flughafen waren wir froh, ein Shuttle-Service des Hotels in Anspruch genommen hatten. Der Flughafen liegt im Süden Beiruts und ist rund eine halbe Stunde von Downtown entfernt. Auch wenn vor Ort überall Taxis auf die Reisenden warten, ist man gut damit beraten einen privaten Fahrer zu organisieren. Die Taxi-Situation ist wie in vielen arabischen Ländern relativ unübersichtlich: Außer den roten Nummernschildern, gibt es keine einheitlichen Farben oder Kennzeichnungen. Manche Taxis sind regulär, andere wiederum Gemeinschaftstaxis. Vor allem als europäischer Tourist riskiert man schnell zu viel zu bezahlen. Die Fahrt vom Flughafen nach Beirut sollte nicht mehr als maximal 20 Dollar kosten. Mit einem Kollektivtaxi sogar weniger als die Hälfte. Nach einigen Tagen in Beirut hat man sich an das lokale System gewöhnt und weiß das meist genutzte Fortbewegungsmittel in der Stadt zu schätzen. Züge oder Metro gibt es nicht. Die Busse werden nur von dem armen Teil der Bevölkerung genutzt und sind noch schwieriger zu steuern. Clever ist es, die Taxi-Preise vor der Abfahrt mit dem Fahrer auszuhandeln. Innerhalb der City sollte man nicht mehr als 2000 bis 6000 LBP pro Person im Gemeinschaftstaxi zahlen. Abgesehen davon lässt sich die Stadt aber auch prima zu Fuß erkunden. Der große Vorteil dabei: Man entdeckt an jeder Ecke etwas neues, trifft auf Einheimische und lernt die Vielfältigkeit der einzelnen Viertel im Schneckentempo schätzen.

Baffa House: Schöner als daheim

Nachdem wir das pulsierende Herz des Libanons erreicht hatten, checkten wir in dem wohl heimeligsten und authentischsten Boutique-Hotel Beiruts ein: Baffa House. Samer und seine Familie haben das sympathische Guesthouse renoviert und in ein kleines Paradies im Herzen des Kreativ-Viertels Mar Mikhael verwandelt. Ursprünglich gehörte das Haus Samers italienischem Großvater Francesco, der Anfang des 20. Jahrhunderts nach Beirut emigrierte, sich dort in eine libanesische Frau verliebte und blieb. Benannt nach seinem italienischen Familiennamen versprüht Baffa House einen Hauch von Ruhe und Magie, in der sonst so chaotischen Metropole. Mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Zimmer, ein gemütlicher Gemeinschaftssalon in dem jeden Morgen ein reichhaltiges und unglaublich leckeres libanesisches Frühstück auf seine Gäste wartet, sowie eine kleine Terrasse laden zum Entspannen ein und bieten vor allem all denjenigen einen perfekten Aufenthalt, die Beirut auf individuelle und kreative Weise entdecken möchten. Dazu hat Samer die besten Tipps parat und gibt seinen Gästen mit viel Lässigkeit und Offenheit einen unverfälschten Einblick in Land und Kultur.

Wer von hier aus seine Entdeckungstour startet, kann gar nicht anders, als Erfolg haben. Unbedingt sollte man dabei auch dem Livingroom Restaurant Makan im Untergeschoss des Baffa einen Besusch abstatten. Dieses Kleinods transportiert euch nicht nur durch seine vollendete Einrichtung im Stile der 40iger Jahre zurück in die Goldene Ära Beiruts, sondern auch dank der hervorragenden exotischen Küche.

Der Weg beginnt in Mar Mikhael…

Auch die Lage von Baffa ist ideal. In Mar Mikhael habe ich mich persönlich am wohlsten gefühlt. Das Stadtviertel bietet mit seinen zahlreichen kleinen Kunstgalerien, Läden, Bars und Restaurants einerseits eine alternative und moderne Atmosphäre, auf der anderen Seite atmet man an jeder Straßenecke ein Stück Historie und lokaler Ursprünglichkeit. Nicht nur jedes Haus, sondern auch die Menschen erzählen hier eine eigene Geschichte. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen die beiden ebenfalls christlich geprägten Viertel Achrafieh und Gemmayzeh. Mit beinahe Pariser Charme laden diese Gegenden zum gemütlichen Herumbummeln durch die Straßen und Gassen ein und bieten viele schöne Cafés und trendige Bars. Erklimmt man die St. Nicolas Treppe steht man am Ende vor dem imposanten Gebäude des Sursock Museums, in denen spannende Werke zeitgenössischer libanesischer Künstler ausgestellt werden.

Culture Clash: Little Armenia

Allgemein wird in Beirut schnell eines deutlich: Jedes Viertel hat sein eigenes Charisma und wirkt manchmal sogar fast wie eine komplett andere Stadt. Der Grund dafür ist nicht zuletzt lange Spaltung während des Bürgerkriegs und natürlich die Vielfalt der 18 verschiedenen Religionsgemeinschaften im Libanon. Ebenfalls faszinierend war daher für mich unser Spaziergang im nördlich von Mark Mikhael gelegenen Bourj Hammoud, auch bekannt als „Little Armenia“. Spätestens hier wird einem der kulturelle Clash der Stadt bewusst. Chaotische verkabelte Straßenzüge, Projektil-Spuren an den Häuserwänden und jede Menge armenische Shops, Schmuckhändler und Bistros. Ein Stadtviertel voller Durcheinander und prekärer Realitäten, aber auch voller Leben und Offenherzigkeit.

Von unten nach oben: Hamra

Ganz anders und dennoch nicht weniger lebendig ist Hamra. Im überwiegend muslimisch geprägten Stadtteil treffen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinander: Wolkenkratzer lehnen an zerbombten Häusern, Touristen, wohlhabende Libanesen und syrische Flüchtlinge treffen sich in Beiruts Downtown und schlendern an der langen Strandpromenade entlang, spielen Backgammon oder rauchen eine Shisha. Hamra ist Beiruts florierendes Geschäftsviertel. Auch der Campus der renommierten American University liegt hier. Mit Kosten von rund 20.000 Dollar können sich hier jedoch nur die Reichsten der Reichen ein Studiensemester leisten. Die Hauptader ist Hamra Street mit ihren zahlreichen Hotels, Bibliotheken, Restaurants und Cafés. Als besonderen kulinarischen Geheimtipp kann ich die beiden etwas versteckten Restaurants T-Marbouta (libanesische Küche und kleine Bibliothek mit wunderschönem Innenhof) sowie Mezyan (palästinensisch-marokkanisch-libanesische Küche mit tollen Live-Musik Abenden) empfehlen.

Allgemein ist die libanesische Küche einfach der absolute Hammer. Angefangen mit den köstlichen Startern (Mezze) wie Hummus, Moutabal, Fatteh, Tabbouleh bis hin zu gegrillten Leckerbissen wie Kafta und Schawarma. Wer nach einem satten Mahl seine Kilos noch abtanzen möchte, hat hier ebenfalls gute Karten. Bekannte Nachtclubs wie das AHM oder The Gärten locken Feierfreudige mit deftigen internationalen Line-Ups.

Outside is inside: Abseits von Beirut

Nachdem man Beirut ausgiebig erkundet hat, sollte man in jedem Fall einige Ausflüge in den Norden, Süden und das Landesinnere machen. Der Libanon ist nicht riesig und deswegen lässt sich super ein Tagesausflug von Beirut aus starten. Erst wenn man aus der Stadt herausfährt, werden einem viele Dimensionen bewusst, sowohl landschaftlich wie sozial. Es empfiehlt sich die Ausflüge entweder mit einem Einheimischen oder einem organisierten Driver zu unternehmen. Nicht nur weil der Verkehr extrem chaotisch ist, sondern weil bestimmte Gegenden sicherer sind wenn man einen Local an der Hand hat, der die Sprache spricht und weiß, was ok und was besser zu vermeiden ist. Insbesondere hinsichtlich des Fotografierens muss man im Libanon vorsichtig sein. Absolute Tabus sind militärische, polizeiliche und öffentliche Gebäude. Aber auch in Problembezirken, wie Dahieh im Süden Beiruts, oder von der Hisbollah dominierten Territorien ist extreme Vorsicht zu genießen. Hier sollte man so oder so nicht ohne lokalen Guide hin und die Kamera besser in der Tasche lassen. Uns wurde nicht nur von einer, sondern mehreren Verhaftungen und strengen Vernehmungen durch lokale Milizen berichtet.

Das Erbe der Antike: Baalbeck

Wer historisch und kulturell auf Spurensuche gehen will, muss sich unbedingt die Zeit für die antiken Prachttempel von Baalbeck nehmen. Hier weihten die alten Römer einst ihren Göttern Jupiter, Bacchus und Venus ihre Opfer und schufen eines der majestätischsten architektonischen Projekte der Antike. Selbst in Italien oder Griechenland findet man kaum etwas Vergleichbares. Abgesehen davon bietet die Fahrt in die Bekaa-Ebene eine ordentliche Portion Einblicke und Hintergründe in die Kultur des Landes. Nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, umringt von kargen Bergen, erstreckt sich das Hauptanbaugebiet des libanesischen Haschisch, der eine wesentliche Einnahmequelle für das Business lokaler Gruppierungen ist. Die libanesische Regierung hat hier nur wenig mitzureden.

Darüberhinaus fährt man an den Camps vieler syrischer Flüchtlinge vorbei, die einem die schwierige politische Lage vor Ort bewusst machen. Internationale Hilfsorganisationen gehen von knapp 2 Millionen Flüchtlingen aus Syrien und Palästina aus. Die meisten leben in prekären Situationen und haben keine Perspektiven und nur wenige gesellschaftliche Rechte. Ein soziales Pulverfass in einem Land, mit selbst nur 4 Millionen Einwohner, das eine große Last der Krisenregion allein trägt und seine Grenzen für jene die Hilfe brauchen nicht versperrt.

Die Küste rauf und runter: Harissa, Sidon, Tyros

Nicht weniger spannend ist eine Fahrt in den Norden oder Süden entlang der libanesischen Küste. Hier hat man vor allem die Möglichkeit baden zu gehen. Trauriger Weise sollte man das an Beiruts Stränden aufgrund der großen Wasserverschmutzung vermeiden. Landschaftsparadiese in der Hauptstadt, wie die Raouche Rocks, sind besser aus der Ferne zu genießen. Einheimische die hier baden, sind oftmals Flüchtlinge oder der ärmere Teil der Bevölkerung, die sich die vielen Privatstrände außerhalb der Stadt nicht leisten können. Dort laden vor allem verschiedene Ressorts zum Schwimmen ein.

Unweit der Pilgerstätte Harissa im Norden, konnten wir zum Beispiel hier nach längerer Suche einen tollen Spot finden. Einfach ist der Strandbesuch im Libanon jedoch nicht. Für mich als Deutsche, die derzeit in Sizilien lebt und das Mittelmeer zu jeder Zeit ohne Probleme genießen kann, ist der beschränkte Zugang im Libanon ein wahrer Jammer. Weite, auch teilweise öffentliche, Sandstrände gibt es dagegen in der Nähe der alten Phönizier Hochburgen Sidon und Tyros. Zusätzlich lohnt sich dort ein Besuch der historischen Zentren der Städte, der Souks und Seifenmuseums.

Ein Land der Widersprüche und Kontroversen

Egal auf welche Art und Weise ihr eure Reise in den Libanon unternehmen wollt, sie lässt gewiss keine Langeweile aufkommen. Das Land und seine Hauptstadt Beirut sind voll von tiefgreifenden Erfahrungen, Widersprüchen und Kontroversen. Nicht immer einfach, aber dennoch in jedem Fall ein faszinierendes Spiegelbild gesellschaftlicher Umbrüche und kulturellem Zusammenhalts. Ein offener und durchaus kritischer Blick hilft den Libanon zu verstehen und dabei vor allem das Wichtigste an ihm zu schätzen: Seine Menschen! Sie haben uns dieses Land näher gebracht und waren der Grund, warum ich mich darin verliebt habe. Deswegen an dieser Stelle zu guter Letzt mein Herzensdank an all unsere fantastischen Reisebegleiter: Samer, Mark, Ina, Abed, Ali und Jose!

photos by Helen Hecker (big ♡ to Fausto DL for his pictures of me)
Wir danken außerordentlich Samer und seiner Familie für die unvergessliche Zeit in Baffa House. Für mehr Infos zum Hotel folgt Baffa auf FB + Insta