Hi, our name is Tinariwen

, 30. März 2017 music, news
HI, MY NAME IS ist der einfallslose Titel für eine kontinuierliche Interview-Reihe mit talentierten Fotografen, Musikern, Künstlern und inspirierenden Persönlichkeiten unserer Zeit. Die Band, die wir euch diesmal vorstellen ist längst ein Ur-Gestein der Musikszene: Tinariwen tragen seit über 30 Jahren den Sound der Wüste in die Welt hinaus und vereinen die traditionelle Musik der Tuareg mit elektrischen Gitarren. Wir trafen Sänger Abdallah Ag Alhousseyni zum Interview und sprachen mit ihm über die Magie der Freiheit und die Grenzen in dieser Welt.
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Wer einmal die Musik von Tinariwen gehört hat, wird sie so so schnell nicht vergessen. Ihr atmosphärischer Blues vereint eindrucksvoll die Rhythmen der nordafrikanischen Wüstengebiete mit zeitlosen Gitarrenriffs und meditativem Beats. Beinahe hypnotisch wird man vom Händeklatschen und den Klängen der Djembé weit weg in die Sahara entführt. Entstanden ist dieser einzigartige Musikstil, der bereits Gruppen wie Led Zeppelin und Santana oder zahlreiche Elektroproduzenten inspiriert hat, in den 1960er Jahren. Damals trug die junge Generation der Tuareg die traditionelle Musik ihres Volkes in die nordafrikanischen Städte, wo sie nach Arbeit suchten. Aufgrund der postkolonialen Grenzziehung mussten sie ihr nomadisches Leben und die Herdenwirtschaft aufgeben.

Auch heute noch tritt Tinariwen für die Unabhängigkeit der Berbervölker ein. Ihre berührende Musik wird dabei zur politisch-revolutionären Stimme der im Exil lebenden Tuareg und trägt gleichzeitig ihre Sprache Tamaschek weit hinaus in die Welt. Durch die gewaltsamen Unruhen in ihrer Heimat Mali war die Band gezwungen ihr neues Album „Elwaw“, was soviel bedeutet wie „Die Elefanten“, im Ausland aufzunehmen. Sie pendelten dabei zwischen Kaliforinien und M’Hamid El Ghizlane, einer Oase im Süden Marokkos. Das Ergebnis ist ein Album, das durchdrungen ist vom Gefühl der Sehnsucht. Der Sehnsucht nach Heimat.

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Der Name „Tinariwen“ bedeutet in eurer Sprache „die Männer der Wüste“. Welchen Einfluss hat die Landschaft auf eure Musik?

Wir sind in der Wüste geboren und aufgewachsen. Sie ist also eng mit uns verbunden. Die Wüste ist eine Gegend, deren Land und Himmel unendlich weit ist. In ihr kann man gut zuhören, singen und denken. Das hilft sehr, damit sich das Gehirn und der Geist frei entfalten können. Vor allem, wenn man zum Beispiel Lieder schreibt. Die Wüste inspiriert den Menschen immer.

Welche Geschichte steckt hinter Tinariwen?

Alles begann 1973 an der Grenze zu Algerien. Gegründet wurde Tinariwen von Ibrahim und Alhassane, die bis heute der wichtigste Teil der Gruppe sind. Die beiden haben irgendwo dort ein paar Gitarren entdeckt, darauf herumexperimentiert und angefangen die ersten Songs zu schreiben und überall zu spielen. Später in Lybien ist Tinariwen gewachsen und hat sich zu einer richtigen Band formiert.

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Der Rhythmus und Gesang eurer Lieder transportiert die Freiheit aber auch die Melancholie und das Leid der Wüste. Braucht es beides, um eure Musik lebendig zu machen?

Ja, auf alle Fälle. Beides ist zwingend notwendig, damit wir überhaupt diese Musik machen können. Lebt man in der Wüste, versteht man, das nichts einfach ist. Leben und Tod liegen nah bei einander. Es gibt Pflanzen, die dort wachsen und gedeihen, doch essen wir oder die Tiere diese Pflanzen, müssen wir sterben. Auf der anderen Seite ist die Wüste unendlich groß, man hat das Gefühl überall hingehen zu können. Ein Gefühl der Grenzenlosigkeit, das oft jedoch trügt.

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Oft spricht man bei eurer Musik auch vom Desert-Blues oder Rock. Wie sehr haben euch westliche Interpreten beeinflusst?

Unsere Lieder beruhen zum größten Teil auf den traditionellen Gesängen und der Musik, die wir seit unserer Kindheit kennen. Aber natürlich ist es ein Verlangen und ein Bedürfnis eines jeden Musikers sich ständig für neue Ideen zu öffnen und nach neuen Formen, Tönen, Melodien zu suchen. Dies schließt nichts aus. Egal woher es kommt.

Eure Musik ist gleichzeitig eure Waffe im Kampf für die Unabhängigkeit eures Volkes. Was sind für euch die Grenzen und Barrieren in dieser Welt?

Es gibt klare Grenzen. Sie sind von den ehemaligen Kolonialmächten wie Frankreich gezogen wurden und sie sind gleichzeitig einer der Gründe für die Probleme und Kriege in unserer Welt. Die Ursprünge für die Konflikte heute, liegen in den 60er Jahren. Damals beschloss Frankreich, unser Land zwischen vier Staaten aufzuteilen. Plötzlich konnten wir unsere Herden nicht mehr frei durch die Wüste ziehen lassen. Seitdem werden Kämpfe um unser Land ausgetragen. Es ist an der Zeit die Wahrheit über die Fehler von damals zu sagen, wirklich die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das Schweigen ist die wahre Barriere und Grenze, die überwunden werden muss.

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Last but not least: Was würdest du nie ändern und was sollte sich verändern?

Was ich niemals ändern werde und nicht ändern kann ist meine Sprache und mein Glaube. Sie bleiben. Alles andere wie meine Stimmung, Gefühle, die Kleidung oder das Aussehen aber auch die Musik befinden sich in einem ständigen Prozess. Dieser ist gut und wichtig.

MERCI ♥

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photos by Helen Hecker