Interview: Kancha – Soziales Design für urbane Nomaden

Vor bereits über einem Jahr haben wir euch Kancha vorgestellt: Ein junges Berliner Start-Up, das für faires Design und vor allem coole Accessoires aus Leder und Filz steht, die allesamt aus einer deutsch-kirgisischen Co-Produktion stammen. Dank ihres erfrischenden Unternehmergeistes und einer ganzen Portion Mut, überzeugt Kancha auch weiterhin mit tollen neuen Produkten. Diese gefallen uns nicht nur ausgesprochen gut, sondern haben unser Interesse an einem Land und einer Idee geweckt, über die es wert ist, ausführlicher zu erzählen. Deswegen haben wir den Mitgründer Sebastian zum leckren Frühstück bei Kancha im Berliner Office getroffen und uns in einem Interview mehr über dieses einzigartige Projekt und seinen Spirit verraten lassen.

„Es geht eher um dieses Gefühl: Freisein, nicht materialistisch sein, sich auf das Wichtigste zu reduzieren und trotzdem einen ästhetischen Anspruch zu haben.“ – Sebastian / Kancha

Urban Nomads? Was ist das und woher kommt das?

Mit dem Begriff Urban Nomads wollen wir eine Gedankenbrücke zu unserem Produktionsland Kirgistan schlagen. Das ist für uns sehr wichtig, da Kancha ein Projekt ist, das versucht eben genau dort faire Arbeitsplätze zu schaffen und die Infrastruktur zu verbessern. Und Kirgistan war früher ein Nomadenland. Im Prinzip stellen wir also in Kirgistan alle unsere Produkte her und vertreiben sie dann in Europa. Die Kunden hier sind wiederum Städter, mit einem gewissen hippen Lifestyle und deren Lebensraum eben urban ist. Auf der anderen Seite leben wir heutzutage immer freier. Reisen ist günstig geworden und die Menschen kommen viel rum. Man kann als Freelancer zum Beispiel überall arbeiten und ist deswegen sehr ungebunden und ständig mobil. Und so gibt es auch hier wieder Parallelen zu dem Nomadentum. Und so nennen wir unsere Zielgruppe bzw. unsere Kunden „urbane Nomaden“. Diese Gruppe urbaner Nomaden ist natürlich ein breites Spektrum. Das können Grafikdesigner, Journalisten und irgendwelche Kleinunternehmer sein. Es geht eher um dieses Gefühl: Freisein, nicht materialistisch sein, sich auf das wichtigste zu reduzieren und trotzdem einen ästhetischen Anspruch zu haben.

Und wo kommt der Name „Kancha“ her?

Der kommt aus Kirgistan natürlich und bedeutet: „Wie viel? Wie teuer?“ Gleichzeitig ist er Anspielung auf unseren Transparenzgedanken. Zum Beispiel möchten wir unseren Kunden offenlegen, wie unsere Produkte produziert werden, von wem und wie viel unsere Produzenten verdienen.

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Welche Art von Produkten kann man bei euch finden und wo gibt es sie zu kaufen?

Wir haben ja angefangen mit diesen Laptop-Hüllen, sozusagen als Inbegriff des urbanen Nomadentums. Weil der Laptop heute, zu mindestens hier in Europa, das Arbeitsmittel Nr. 1 ist und wenn man mit ihm mobil sein möchte, ist es wichtig ihn gut zu verpacken. Dann haben wir das ausgeweitet aufs Smartphone, auf Tablets und vieles mehr. Und jetzt haben wir ganz neu auch Portemonnaies. Erst für Herren, und nun auch für Damen die „Origami Wallets“. Unser Hauptkanal für den Verkauf ist unsere Webseite www.kancha.de. Aber wir sind auch bei verschiedenen Boutiquen und Händlern, wie zum Beispiel bei Gravis, im Sortiment. Mittlerweile nicht nur in Berlin sondern auch in anderen Städten in Deutschland. In ungefähr einem Monat kann man das dann auch auf unsere Homepage sehen.

Was unterscheidet ein Kancha Wallet von anderen Anbietern?

Also zu allererst einmal bestehen all unsere Wallets aus 100% natürlichen Materialien. Wenn es möglich ist, versuchen wir sogar auf Metall oder anderes zu verzichten. Dann findet die Produktion immer nachhaltig und fair statt. Das Design ist dabei immer sehr reduziert. Da gibt es nicht viel Schnickschnack. Deswegen sind alle Stücke aber auch schön flach und leicht. Damit verbinden wir die Designelement mit der Art der Herstellung.

Mit welchen Materialien arbeitet ihr?

Hauptsächlich arbeiten wir mit Filz, da dies ein traditioneller Stoff ist, der seit Jahrhunderten in Kirgistan verwendet wird. Praktisch alles ist dort aus Filz. Selbst die Jurten der Nomaden damals. Ein anderes wichtiges Material ist Leder. Wichtig bei uns ist aber, dass diese Materialien nicht nur auf traditionelle Art und Weise verarbeitet wird, sondern wir geben unserem Design eben einen modernen Anstrich.

Wer steckt hinter dem Kancha-Design?

Jonas Görtz ist unser Lead-Designer. Zusammen mit ihm überlege ich mir zum Beispiel, welche Produkte wir als nächstes machen wollen und wie sie aussehen können. Jonas arbeitet anschließend einen Entwurf aus, der dann in Kirgistan durch einen Prototypen von unseren Handwerkern umgesetzt wird. Dann wird das über Email oder sogar WhatsApp hin und her geschickt, bis dann schließlich ein erster Produktentwurf bei uns in der Post landet. Meistens sind wir dann erst einmal nicht zufrieden und feilen gemeinsam so lang herum, bis ein Produkt herauskommt, dass unseren und Jonas Erwartungen entspricht. Das kann manchmal auch einen Monat oder länger dauern. Dabei geht Jonas aber auch auf die Vorschläge der Kunsthandwerker ein, so dass modernes Design und Tradition sich verbinden.

Wie hat alles angefangen?

Uns gibt es seit anderthalb Jahren. Ein bisschen mehr vielleicht. Wir haben im September 2013 unser Crowfunding beendet. Und dann mit Kancha gestartet. Tobi, meinen Mitgründer, habe ich in Maastricht während des Studiums kennengelernt. Er ist der Politikwissenschaftler unter uns, der sich immer für Entwicklungszusammenarbeit interessiert hat und ich der Ökonom. Später haben wir uns in Berlin wieder getroffen und Tobi hatte bereits seine Freundin aus Kirgistan. Irgendwann ist er schließlich zu ihr gezogen und hat das traditionelle kirgisische Handwerk kennengelernt. Daraus ist die Idee entstanden ein Social Business Konzept zu entwickeln, das wir beide schon immer gern umsetzen wollten. Dabei haben wir gemerkt, dass uns ein wichtiger Baustein fehlt, nämlich ein guter Designer. Und auf diese Weise ist Jonas zu uns ins Team gekommen. Nach meiner ersten Kirgistan Reise, hat es dann aber noch bestimmt ein halbes Jahr gedauert bis wir die passenden Handwerker als Partner gefunden haben.

Wer sind eure Hersteller und Produzenten in Kirgistan?

Es sind hauptsächlich zwei kleine Werkstätten, die für uns arbeiten. Wir haben ihnen dann die Wahl gelassen, ob sie fest angestellt bei uns seien möchte oder lieber selbstständig frei für uns arbeiten möchten, was ihnen lieber war. Einmal handelt es sich dabei um die Bestickungswerkstatt unter der Leitung von Elisa. Und Artur mit seinen Mitarbeitern ist dann hauptsächlich für die Umsetzung der Lederverarbeitung zuständig. Außerdem gibt es noch Oskar, der den Einkauf managet. So kaufen wir zum Beispiel Wolle ein, die wir dann selbst zu den Filzverarbeitungswerkstätten bringen. Ähnlich ist das mit dem Leder. D.h. wir begleiten den Herstellungsprozess von A bis Z. Jedes Produkt bekommt am Ende auch eine Unterschrift von einem der Handwerker. So dass ein persönlicher Bezug zwischen ihnen und unseren urbanen Nomaden besteht. Auf unserer Homepage kann man dann das Profil von jeden Handwerker finden und sich zum Beispiel auch bei Ihr bedanken oder ihr schreiben. Wir übersetzen das dann natürlich, so dass Elisa auch antworten kann.

Kancha ist ein Beispiel für den Fortschritt im Bereich Fair Fashion bzw. faires Design: Wie setzt ihr die Kombination aus wirtschaftlicher Transparenz und coolem Design um?

Die Herstellung unserer Produkte fair zu gestalten war überhaupt erst einmal die Grundmotivation für uns, um das Projekt „Kancha“ auf die Beine zu bringen. Ich habe es schließlich zusammen mit Tobias gegründet, weil unsere gemeinsame Überzeugung war, dass man coole Produkte auch auf eine faire Art und Weise herstellen kann. Dann haben wir den Jonas dazu geholt, der das auch wirklich bewerkstelligen konnte. Und wie machen wir das dann? Wir haben eigentlich zwei Säulen: Einmal der laufende Betrieb, bei dem wir versuchen fair und korrekt mit unseren Handwerkern zusammenzuarbeiten, die in anderen Textilbetrieben oft ausgenutzt werden. Hierfür bezahlen wir natürlich Löhne über dem lokalen Preisniveau oder geben Mikrokredite. So hatte zum Beispiel eine unserer Näherinnen einmal einen Krankheitsfall in der Familie. Dann gab es nur die Wahl: Entweder die letzte Kuh wird verkauft oder wir gewähren ihr einen kleinen Kredit von ein paar hundert Euro, der dann zinslos zurückgezahlt werden kann. Dann gibt eine Betriebskrankenkasse, denn es gibt dort keine gesetzlichen Kassen, wie bei uns. D.h. wenn sie zum Arzt müssen oder Medikamente brauchen, zahlen wir das, weil es dort keine Krankenkassen wie bei uns gibt. Und die zweite Säule ist der strukturelle Wandel. Das bedeutet, dass wir versuchen Unternehmer zu fördern, in dem wir ihnen einen Raum und eine Plattform bieten um ihre Ideen auszuleben. Das gilt insbesondere für junge Leute, die unternehmerischen Geist haben und etwas verändern wollen, aber Kirgistan verlassen, weil sie keine Chance haben es dort umzusetzen und dort Perspektiven sehen. Das versuchen wir dann über die Bereitstellung eines aktiven Netzwerks und das weitergeben unseres Know-Hows. Da stehen wir jedoch noch ganz am Anfang.

Könnte bei der Entwicklung von fairer Konzepte für Fashion und Design mehr passieren in Europa und der Welt?

Auf jeden Fall könnte da eine ganze Menge mehr passieren. Gerade ist der Wandel meiner Meinung nach im Umbruch. In den letzten zehn Jahren gab es schon einige Initiativen, die kamen dann aber oft sehr eingleisig aus einem ganz bestimmten Feld, nämlich mit einem Öko-Image. Mit dem versucht wurde „Gutmenschlichkeit“ zu verkaufen, aber dadurch wurde oft das Produkt nicht verstanden und entsprach nicht dem Zeitgeist. Das es jedoch auch nachhaltig und cool geht, wurde kaum übermittelt. Dahin bewegt sich jedoch jetzt so langsam ein Trend, der aber noch in den Kinderschuhen steckt. Und hoffentlich wird es mit dem Jahren immer erfolgreicher, wenn die Menschen erst einmal verstehen, dass sie damit auch gesellschaftlich selbst einen Beitrag leisten können und dabei nicht auf Ästhetik und Funktionalität verzichten müssen. Wichtig ist dabei jedoch auch, dass der Preis angemessen bleibt und dieser ganz Trend sich nicht als ein purer Luxus entwickelt. Aber bis dies alles bei den Massen ankommt wird es noch lang dauern. Denn selbst bei einem Blick in meinen Kleiderschrank muss ich ehrlich zugeben, dass vielleicht ein Drittel davon wirklich aus fairem Konsum stammt.

Was ist neu bei Kancha?

Seit ein paar Monaten gibt es nun bei uns im Sortiment die Portemonnaise, also Wallets, die sich nur an Herren sondern auch an die Damen richten. Das coole an denen ist, dass sie komplett aus einem Stück Leder geformt sind und wie ein Origami zusammen gefaltet sind. Daher auch der Name. Deswegen sind sie super reduziert und werden im Prinzip nur durch eine Naht zusammengehalten. Da gibt es kein Schnickschnack. Nur zwei Fächer. Ganz einfach und praktisch.
Ab dem Sommer werden wir dann neue Camera Straps, also Gurte, auf den Markt bringen. Und gleich darauf entwickeln wir ein neus großes Projekt, nämlich ein Rucksack für urbane Nomaden. Mit dem wollen wir dann Ende des Jahres gern ein neues Crowdfunding für die USA starten und sozusagen expandieren.

Dein Kancha-Lieblingsprodukt?

Einfach das Laptop Sleeve. Das war das erste und macht mir einfach jedes mal, wenn ich es benutze erneut Spaß.

Was fasziniert dich an Kirgistan am meisten?

Die Weite! Diese Menschenlosigkeit. Einfach nur Berge und alles ist grün! Das gibt der Seele Freiraum.

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Ein kleiner Exkurs zum Ende: Was und wo ist Kirgistan?
Kirgistan – auch Kirgisien oder Kirgisistan, wird gern die Schweiz Zentralasiens genannt. Geprägt von schneebedeckten Bergmassen und ohne Zugang zum Meer hat sich das kleine Land irgendwie zwischen den Großmächten der Region behauptet. Bis Anfang des letzten Jahrhunderts waren die Kirgisen Nomaden und sind mit Sack und Pack durch die Berge gezogen. Heute haben die meisten Menschen die Jurte gegen eine feste Wohnung eingetauscht. Dafür finden sich in der Hauptstadt Bischkek erste Hotspots urbanen Nomadentums: Auch hier sitzen die Kreativen mit Café Latte, iPhone und allem was dazu gehört im Co-Working Space. In Kirgistan leben etliche Volksgruppen friedlich miteinander: Die Mehrheit sind ethnische Kirgisen, ebenso leben hier aber zahlreiche Usbeken, Russen, Kasachen, Koreaner und weitere Minderheiten. Der Zerfall der Sowjetunion hat das Land jedoch ziemlich gebeutelt, so dass die Wirtschaft heute stark abhängig ist von Auslandsüberweisungen und Entwicklungsgeldern.


www.kancha.de