Am Anfang schien alles garnicht so übel zu laufen. Einfach einen Gang runter schalten und sich dem widmen, was zählt. Das hörte sich ganz nach meinem Geschmack an. Doch nach vier Wochen strikter Ausgangssperre in Italien, schwankt auch das tapferste Gemüt. Ein Stimmungsbericht von der Insel...
Woche 1: Die Euphorie der Veränderung

Die Arbeit aus dem Home Office war ich gewöhnt. Während ein Virus Italien zum sozialen Versuchslabor machte und immer mehr Menschen der Atem fehlte, blieb ich „zu Hause“ und schrieb. An Inspiration und Arbeit fehlte es mir nicht und es gab genügend zu Berichten. Ich schrieb Artikel, Crowdfunding Kampagnen, Angebote, Kommentare und natürlich ganz besonders leidenschaftlich Chat-Nachrichten; an die fern entrückte Familie in Deutschland, italienische Leidensgefährten, ehemalige Kollegen, alte und neue Affären (oder besser gesagt an solche die das Potenzial und den Ausbruch der Pandemie gehabt hätten) und natürlich an meine Freunde und Lieblingsmenschen in Berlin. Ihr könnt euch garnicht vorstellen wieviele Stunden man mit Schreiben verbringen kann. Vor allem wenn man das Gefühl hat in der Zukunft zu leben und den anderen zu erzählen was auf dem Stiefel so abgeht und früher oder später auch auf sie zukommen wird.

Woche 2: „Momentmal, ich checke meine Agenda“

Wenn ich nicht schrieb, dann war ich damit beschäftigt mir Gedanken über meine neue Zukunft als Permakultur-Farmerin zu machen, nach dem Aufstehen die neuesten wissenschaftlichen Debatten zum Coronavirus zu lesen, Zahlen und Statistiken auszuwerten, um 18 Uhr den schrägen Chören meiner Nachbarn vom Balkon zu lauschen, den Live-Yoga-Kursen auf Youtube zu folgen, meine Fenster (nach einem Jahr mangelnder Fürsorge) zu putzen, das erste Bananenbrot in meinem Leben zu backen, zu „housepartyen“ oder crazy Abendessen mit den in Europa verteilten Freunden auf Zoom zu organisieren, die nach 22 Uhr zur Party werden und dich am nächsten Tag mit einem Kater erwachen lassen, als wärst du bis mittags im Berghain feiern gewesen.

Dazu schien die sizilianische Sonne jeden Tag im Vollrausch, ganz so als ob sie der weltweiten Klimaerwärmung Dampf unter dem Hintern machen wollte. Ich wanderte dementsprechend mit meinem Work-Desk von einem Balkon meiner Wohnung auf den anderen, um die volle Dröhnung Vitamin D abzubekommen! Quarantäne Deluxe. Zu guter Letzt entdeckte ich nach Jahrzehnten meine neue Leidenschaft fürs Joggen und rundete mein tägliches Beschäftigungsprogramm mit morgendlichen Ausflügen ans Meer ab. Tja, wenn einem sonst nichts anderes bleibt, um vor die Tür zu dürfen…

Alles war neu, alles war ungewohnt, alles war laut. Und plötzlich wurde es leise.

Woche 3: Die Monotonie des Seins

Es fühlte sich an wie die Ruhe nach dem Sturm, auch wenn dieser noch nicht einmal an uns vorbei gezogen war sondern erst so richtig anfing. Die italienischen Regierung verkündete, nun jeglicher Spaziergang und „körperliche Betätigung an der frischen Luft“ Tabu seien. Die News brach mir kurzzeitig das Genick. Militär rückte an, um die Polizei bei ihren täglichen Patrouillen nach „verbotenen Freigängern“ zu unterstützen und auch die Sonne hatte die Schnauze voll und verschwand plötzlich für gut 10 Tage von der Bildfläche. Je grauer der Himmel wurde, desto grauer wurde mein Gemüt.

Tag um Tag wich meine anfängliche Euphorie und auch meine Gedanken viel es immer schwerer sich in Worten zu manifestieren. Auf einmal schlich sich ein Gefühl von Beklemmung und Monotonie unter der Türschwelle hindurch. Es war keine Langeweile (dafür gab es wie immer zu viel zu tun). Stattdessen machte sich eine Leere und Alternativlosigkeit breit. Täglich grüßte das Murmeltier. Meine Highlights der Woche bestanden in einer Tour durch den Supermarkt, der Kreation ausgefallener Rezepte und den bereits zuvor erwähnten gemeinschaftlichen Besäufnissen auf Zoom am Freitagabend. Dafür schlüpfte frau schon einmal in die Jeans und kramte das in der Versenkungen verschwundene Make-up hervor.

Woche 4: Hormonelle Umbrüche

Himmel sei dank, war ich wenigstens nicht allein zu Hause, sondern teilte die Ups and Downs mit meiner Freundin Roberta. Bevor es zu spät war, hatten wir in geheimer Mission und unter strömenden Regen unseren Blitz-Umzug per Taxi in die leerstehenden Airbnb-Wohnungen ihrer Familie vollzogen. Dort gab es genügend Platz, um uns auch nach vier Wochen Ausgangssperre nicht gegenseitig an die Gurgel zu springen. Ich will mir nicht ausmalen wie meine prämenstruelle Phase in Quarantäne verlaufen wäre, wenn sie nicht gewesen wäre. By the way, dass Hormone in Quarantänezeiten ganz besonders verrückt spielen, könnte ihr euch bestimmt vorstellen. Dies äußerte sich augenscheinlich auch in den überschwänglichen Verhaltensweisen männlicher Artgenossen. Plötzlich trudelten vermehrt „unmoralische Angebote“ und hoffnungslose Versuche für „sexy Calls“ ein. Da bliebt ein fast nichts anderes übrig als das Handy auszuschalten und stattdessen lieber ein Pornhub Premium-Abo für einsame Corona-Nächte zu buchen….

Und was kommt als nächstes?

Was diese Zeit wohl am schwierigsten für uns macht, ist die Ungewissheit, die viele von uns plagt und über die wir aufgrund der Monotonie unserer Tage noch häufiger nachdenken. Ungewissheit über unsere Gesundheit, Ungewissheit über die wirtschaftliche und finanzielle Lage, Ungewissheit darüber wie wohl unser künftiges soziales Leben aussehen mag, wann wir wieder reisen, feiern und im Cafè sitzen können. Diese Ungewissheit löst in vielen wiederum Ängste aus. Diese Angst ist jedoch unser größter Feind. Sie blockiert unser Denken und Handeln, kann uns zu Marionetten jeglicher politischer Entscheidungen machen und raubt uns viel Energie; Energie, die wir benötigen, um voranzuschreiten. Vielleicht ist es meine von Natur aus positive Grundeinstellung, vielleicht sind es die persönlichen und beruflichen Erfahrungen, die ich in den vergangenen Jahren machen durfte, aber wenn ein was in diesen Tagen vollkommen sicher ist und uns Kraft schenken kann, dann ist es die Gewissheit darüber, das Wandel und Veränderungen, die Essenz unseres Lebens ist.

Vielleicht mag Covid-19 der „schwarze Schwan“ sein, der seit langem befürchtet wird und von heute auf morgen die uns bekannte Welt auf den Kopf stellt. Doch diese schwarze Schwäne hat es immer gegeben. Sie sind Teil unserer Welt und des Lebens was in ihr wohnt. Nur wenn wir sie annehmen und die Veränderungen in unser Lebens lassen, können wir resilient sein. Resilienz, das ist unsere seelischen Widerstandsfähigkeit. Nur wenn wir gesellschaftliche Krisen, Krankenheiten, Schicksalsschläge aber auch kleine persönliche Krisen im Leben nicht als Verlust, sondern als Gewinn betrachten, können wir gestärkt daraus hervorgehen und dazu lernen. Das bedeutet nicht, dass sie uns nicht schocken und in die Knie zwingen, sondern nur dass wir uns vor ihnen nicht verstecken müssen.

Die Quintessenz heißt Resilienz

Meister der Resilienz ist die Natur selbst. Die Regeneration von Wälder, überweideten Graslandes, mariner Ökosysteme und vielem mehr zeigt uns exemplarisch, wie sich die Natur auf Störungen von uns außen einstellt und einfach weiter macht. Diese Fähigkeit der Adaption und des „einfach Weitermachens“ ist wohl das Geheimnis aller lebenserhaltender Prozesse. Sind bestimmte Organismen nicht im Stande dazu sich der Veränderung anzupassen, können sie nicht überleben. Was ist also die Quintessenz? Akzeptiere den Wandel auch wenn er dein Leben scheinbar im ersten Augenblick negativ beeinflusst, begreife die Krise nicht als unüberwindbares Problem, das dir Angst macht, sondern als eine Chance für Innovation und neues Wissen und Prozesse im Leben, verlasse die Opferrolle und deine Comfort Zone, indem du deine eigenen Schwächen erkennst und ich ihnen stellst, und zu guter Letzt: Glaube an dein Können!

Alle Fotos dieser Serie sind in Palermo zu Hause während der Ausgangssperre entstanden © Helen Hecker