Und? Heute schon an Optimierungsschrauben gedreht? Ein bisschen mehr Effizienz hier, ein wenig Hochglanz da und zum Schluss noch ein neuer Trend als i-Tüpfelchen. Habt ihr auch das Gefühl ständig dem optimalen Leben hinter herzulaufen und dabei vor Müdigkeit umzufallen? Dann hört auf damit! Denn nichts muss perfekt sein.

Ich scrolle durch meinen Instagram-Feed. Viele bunter Bilder ziehen an mir vorbei. Schlafzimmer-Deko wie aus dem Designkatalog. Der geilste Scheiß auf jedem Teller. Fettes Outfits! Mega cooler Job auf der Messe. Was für eine süße Familie! Boar und nach Panama will ich auch mal! Alter Schwede! Die Welt scheint perfekt zu sein. Zu mindestens wollen alle ständig und unaufhörlich den Eindruck danach erwecken.

Die neuen Kanäle der Selbstdarstellung machen uns das Leben nicht leichter. Jetzt lesen wir nicht nur tagtäglich von den Optimierungsstrategien, um unser Leben leichter, leistungsfähiger, schöner oder vollkommener zu machen, sondern sehen auch noch die ganze Zeit, wie toll es der Rest der Welt drauf hat.

Man liebt jemanden nicht, weil er perfekt ist. Man liebt jemanden trotz dessen, was er nicht ist. (Jodi Picoult)

Ganz nebenbei gibt es überall kreative Ideen und Life Hacks: Speedreading, Virtual Assistant, kreatives DIY, Diät-Fasten und natürlich optimierte Timings, damit wir an einem Tag noch mehr auf de Reihe bekommen.
„Mit meiner neuen E-Mail-Struktur, habe ich zehn Stunden mehr pro Woche! Seit ich jeden Tag um 6 Uhr aufstehe, vor der Arbeit jogge und mehr Grünkohl esse, wird meine Gehirnleistung verzehnfacht!“ Denn das einzige was hilft: Genauso gut sein wie die anderen, oder?

Ich entwickelte in den letzten Jahren immer mehr eigene Ansätze um meine Leben neu zu organisieren und umzustrukturieren. Dabei machte ich meistens positive Erfahrungen, die mir mehr Vitalität schenkten. Ich aß gesünder, war effizienter bei der Arbeit, brachte meinen Körper in Form und kam auf noch mehr kreative Ideen, um mein Sein, meinen Status Quo und meine Art zu Leben zu überdenken. Doch was mich die letzten Jahre oftmals anspornte und mir scheinbar mehr brauchte, wurde mehr und mehr zur Belastung.

Denn mein neuer nun bewussterer Stil zu Leben, macht mir vor allem etwas klar, was die Life Coaches unter den Tisch fallen lassen: Was passiert, wenn die neue Routine, plötzlich zur Arbeit selbst wird? Fangen wir dann an die Optimierung zu optimieren? Jeder optimale Tag reduziert sich auf einmal zum stupiden Abhaken unserer mentalen Liste: 30 Minuten Sport am Morgen? Check. Ein Smoothie am Tag? Check. Halbe Stunde Gitarre spielen? Check. Einmal die Woche ins Kino? Check. Täglicher Instagram-Post? Check. Von unserem Leben wird mehr und mehr erwartet, dass wir es mit Engagement optimieren. In der Schule, im Job und privat. Schaffen wir es, zeigen wir es dann auch gern den anderen. Alles perfektioniert und gut organisiert. Doch Gottseidank sind wir noch keine Maschinen, die so funktionieren. Auch nicht mit allen Life Hack Artikeln der Welt im Netz!

Perfektion irritiert – Imperfektion stabilisiert. (Alexander Schübert)

Wir sind nicht perfekt. Scheitern, Neubeginnen, Verfehlen und Abbrechen sind keine Bugs im System, sondern die wohl wichtigsten Antriebsfedern unserer selbst. Sein Leben zu „hacken“ kann wichtig sein, um Neues zu lernen und Veränderung zu zulassen. Aber es sollte kein Selbstzweck sein. Wie die freien Märkte in der Wirtschaft streben auch wir ein Gleichgewicht an. Doch würde es dieses tatsächlich geben, würden wir stagnieren. Wir dürfen uns nicht dazu verdammen dieser Illusion unermüdlich hinterherzulaufen und dabei so beschäftigt zu sein, das wir das Leben und die Menschen um uns herum kaum mehr bemerken.

ALSO! Gönnt euch eine Pause vom Workflow, erledigt NICHT die fehlenden Aufgaben auf der To-Do-Liste, schlaft länger und geht Sspäter ins Bett! Lasst das Geschirr in der Spüle. Hört auf damit Nachrichten zu schreiben, die mitteilen, dass ihr nicht wisst, wann es mit dem Treffen klappt, sondern geht NICHT ins Fitnessstudio und trefft euch mit der Person, wenn sie euch am Herzen liegt. Und am Ende bestellt ihr euch einen saftigen Burger und sagt Instagram für eine Weile Adé!

Die Fotos dieses Beitrags sind Schnappschüsse, die ich über die vergangenen Jahre mit meinem Smartphone in Berlin aufgenommen habe. Unscharf, mangelhaft und keineswegs perfekt. Und dennoch ganz nach Gefühl. @nelehscatta