Als ich über das Meer hinweg flog, reflektierte es im Sonnenlicht von oben wie glänzende Haut. Eisern und schützend spannt sie sich um unseren Planeten. In kräuselnden Falten, gezeichnet von der Zeit. In manchen Zeiten eben und unbesorgt, in anderen gewaltig und ohne Erbarmen. Diese Meereshaut verbindet unsere Welten und scheint sie gleichzeitig oftmals unüberwindbar zu machen. So wie sie uns trägt, kann sie uns auch verschlingen. Wer einmal auf den Meeren dieser Welt segelte, weiß, dass ohne einen rettenden Hafen jedes Boot irgendwann verloren ist...

Auch wenn unsere Serie MINDGAMES sich mehr als ein Sammelbecken alltäglicher Situationen versteht, die unsere Gedanken- und Gefühlswelt ins Zentrum rückt, will und kann ich dieses Mal nicht anders, als mit euch meine Gedanken zur Odyssee von 629 Menschen zu teilen, deren Schicksal zum politischen Spielball zwischen den Wogen der Meere wurden. Wenn man wie ich derzeit auf einer Insel lebt, umgeben vom Wasser, versteht man, dass ein Hafen immer offen sein muss. Er ist der rettende Anker in der Not und Zuflucht nach einer langen Reise. Doch was geschieht, wenn auf einmal alle Häfen dicht sind?

Abertausende von Rettungsbooten mit Millionen von Flüchtlingen haben in den letzten Jahrzehnten die italienische Küste erreicht. Und dennoch: Aquarius ist anders als viele dieser Boote. Der Fall der Aquarius wird zum Symbol für die Hilflosigkeit und die ausbleibenden Antworten der politischen Eliten in Europa auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Humanistische Antworten, die in ihrem Kern, jene Werte bewahren, auf denen einst das Fundament unserer Gesellschaft errichtet wurde.

Wie offen sind unsere Häfen? Wie offen ist unser Geist und wie offen unser Verstand?

Als Deutsche in Italien, bin ich momentan täglich mit politischen Debatten konfrontiert, denen es nicht möglich ist aus dem Weg zu gehen. Die neugewählte italienische Regierung lässt die See rauer und stürmischer werden. Spürbar weht ein neuer Wind. Er will Zeichen setzen, Europa mit Härte wachrütteln und sichtbar machen, das Italien es allein nicht schafft. Doch dabei werden erneut die Leben von Menschen zum Druckmittel. Das ist weder vertretbar noch zu rechtfertigen. Unser Häfen müssen offen sein, denn wenn wir sie schließen, dann ertränken wir auch auch jene Fundamente, die uns tragen.

In Palermo sind Hunderte von Menschen auf die Straße gezogen, um für offene Häfen und gegen die Entscheidung der italienischen Regierung zu protestieren

Es spielt keine Rolle, wo ein Rettungsboot anlegen kann, sondern es zählt allein, dass es so schnell wie möglich anlegt. Diese Menschen machen keine Reise, sie sind auf der Flucht. Ich habe viele Afrikaner kennengelernt, die mir persönlich von ihren wochenlangen Märschen erzählten, der Begegnung mit dem Tod in der Wüste, Vergewaltigung und Folter in Libyen, mehrmaligen Versuchen das Meer zu überqueren, der Angst vor dem Ertrinken, den Verbrennungen auf der Haut durch das Dieselgemisch in den Booten. Kinder und Jugendliche, die sehen und erfahren, was wir uns nicht einmal in Gedanken ausmalen können. Diese Menschen haben es verdient anzukommen, einen Hafen zu finden und nicht weitere schier unendliche Tage auf hoher See herumzuschippern.

Und wir? Welche Rolle spielen wir bei den Strategiespielen auf den Meeren? Auch wenn wir oftmals nicht in der Lage sind direkt zu helfen, können wir uns öffnen: Unsere Augen, unseren Verstand und unseren Mund, um über das zu sprechen, was unsere Welt in den kommenden Jahrzehnten weiterhin prägen wird. Diese Schicksale sind keine Krise, sondern eine Konsequenz unseres Handelns. Unsere persönlichen Häfen müssen offen bleiben, denn sonst ertränken wir uns selbst.

all pictures © Helen Hecker