Photography: In den Augen von Mauro d’Agati

Intim, vorurteilsfrei und menschlich zeugen die einzigartigen Fotografien des sizilianischen Fotografen Mauro D'Agati von dem Leben in Palermos Problembezirken. Wir stellen euch den Künstler und seine Arbeiten vor...

Es ist gut neun Jahre her, dass mir bei einem Mitternachtssnack in einer kleinen mittelmäßigen Pizzeria in Palermos Altstadt ein Fotoband in die Hände fiel, der meinen Blick auf die Fotografie bis heute verändert hat. Ich blätterte mich damals zu später Stunde und leicht beschwipst durch die verschlissenen und desolaten Seiten des Buchs und hatte das erste Mal das Gefühl, dass es einem Fotograf gelungen ist jene authentischen Seitenblicke auf das Leben in den Straßen Palermos einzufangen, das sonst unbeachtet oder verborgen bleibt.

VUCCIRIA – PALERMO, 2000-2004

In großen roten Lettern las ich den Titel: Vucciria, Mauro D’Agati. Auf meine Frage an die Besitzerin der Pizzeria, wo man dieses Buch erwerben konnte, entgegnete sie mir nur, dass es limitiert sei und nicht mehr verkauft werde. Der Fotograf habe ihr jedoch einige Bände als Dankeschön überlassen und wenn ich Glück haben sollte, könne sie mir das letzte verkaufen. Sie verschwand in einer Hinterkammer und kam nach wenigen Minuten freudestrahlend heraus: „Eins habe ich noch“ Ohne Bargeld in der Tasche kratzte ich die letzten Scheine meiner Freunde zusammen, die mich begleiteten und kaufte der Frau das Buch ab. Auch sie und ihre Familie, die in der Vucciria leben, haben an dem Buch mitgewirkt. Ich umschlang meinen neuen Schatz und sollte diese spontane Shoppingtour nicht bereut haben.

Bis heute ist Mauro D’Agatis Buch einer meiner Juwele im Regal. Mittlerweile hatte ich die Ehre den Fotografen persönlich kennengelernt zu haben und weitere Einblicke in seine Arbeiten zu bekommen. Die Bilder des gebürtigen Sizilianers fangen das ein, was oftmals hinter konventionellen Motiven verborgen bleibt: Das Menschliche. Intim, vorurteilsfrei und eigenwillig erzählen sie von Momenten und dem Leben jener Menschen, denen er durch seine Arbeit Bedeutung schenkt. Auf diese Weise meistern seinen Fotografien eine Hürde, die meist unbezwingbar scheint – das Überwinden der Distanz zwischen Betrachter und Motiv. Diese Beziehung, die der Fotograf zu seinen Protagonisten eingeht und von dem gegenseitigen Respekt zwischen ihnen zeugt, machen seine Bilder zu einem ganz besonderen Testimonium unserer Zeit.

PALERMO UNSUNG 2009

Mauro fotografiert und dokumentiert am liebsten für sich selbst. Neben Vucciria (2006) und dem Bildband Palermo Unsung (2009) hat mich vor allem ein weiteres Werk über Sizilien fasziniert: Marzia’s Family (2015). Darin portraitiert D’Agati über 5 Jahre das Leben der damals sechsjährigen Marzia und ihrer Familie. In fünf Bänden werden zum Beispiel ihre Sommerferien auf einem illegalen Camping Platz am verdreckten Strand des Industriegebiet von Termine Imerese zwischen Ölfabriken und Fiat-Werk dokumentiert, sowie die Erstkommunion ihres Bruders Claudio, Familientreffen mit reichlich Essen und Spielen oder das Haus der Oma in Palermos Problemviertel Zen2. Marzia wird darin zum Inbegriff des Anti-Modells, widersetzt sich vorgefertigten ästhetischen Standards sowie Klischeevorstellungen und strahlt dabei berührende Freude und Selbstvertrauen aus.

MARZIA’S FAMILY 2007-2015

Der Bildband über Marzia erscheint bald in neuer Auflage bei 89 Books. Der unabhängige Verlag für Fotobände und Bücher über andere Künstler ist derzeit Mauros neues Baby. Jedes Buch des Verlags wird in einer Auflage von 89 Exemplaren erscheinen. Ausnahme bilden die Künstlerbücher, die als Sammlerstück produziert werden. „Marzia’s Family“ wird dabei eines der ersten Bücher des Verlags sein. Demnächst startet Mauro dazu eine Crowdfunding Kampagne. Wer sie unterstützen will, findet mehr Infos dazu auf Kickstarter und Facebook.

Neben seinen fotografischen Arbeiten in Palermo bereiste Mauro D’Agati auch zahlreiche andere Länder und Städte und fing dort ebenso unvoreingenommen das die Arbeits- und Lebensumstände der Menschen ein. So zum Beispiel in Kuba, Miami Beach oder in Thailands Fetisch Clubs. Wer seine neuesten Fotografien über die Stadt Neapel bewundern möchte, sollte sich das aktuelle Stern Magazine (Ausgabe 30/8/2018) besorgen! Lohnt sich!

Für mehr Bilder des Fotografen folgt ihm auf Tumblr, Insta + FB oder besucht die Website von www.89books.com

all photos (c) Mauro D'Agati