Preview: Berlinale Shorts – Kurz & Gut

Seit gestern sind die Pforten zu einem der wichtigsten Events der Hauptstadt geöffnet: Die Berlinale! Die ganze Welt wird sich nun wieder für zehn Tage in Berlin versammeln, um große und kleine Meisterwerke, Stars und Sternchen, sowie zahlreiche junge Talente und Ausnahmekünstler zu feiern. Kaum sind die roten Teppiche ausgerollt und die Bären grüßen von Plakatwänden und Leuchtkästen, steigt auch in mir dieses unbeschreibliche Gefühl von Euphorie und Gänsehaut. Als alter Filmjunkie ist es diese besondere Zeit im Jahr, in der die Spannung förmlich in der Luft liegt und die Suche nach jenem Film beginnt, der verzaubert oder gar schockiert und einen auch nach Tagen nicht mehr loslässt.

Berlinale2013-pr

Die großen Publikumslieblinge spielen zumeist in der Kategorie Wettbewerb und füllen oft auch in den Wochen und Monaten nach der Berlinale die Kinokassen. Ware Juwele des bewegten Bildes entdeckt man jedoch häufig in den Nebenkategorien wie Panorama und Forum. Ein besonderes Highlight sind für mich außerdem jedes Jahr die kurzen und packenden Film-Leckerbissen der Sektion Berlinale Shorts. Um euch ein wenig darauf einzustimmen und den ein oder anderen Tipp loszuwerden, habe ich mir für euch die ganze Palette des diesjährigen Shorts-Wettbewerb reingezogen und stelle euch nun meine fünf Favoriten vor.

»A Man Returned«

Der erste meiner Lieblinge – und mit Abstand der Kurzfilm, der mich am meisten beeindruckt hat – ist der neue Dokumentarfilm von Mahdi Fleifel, der in der Reihe Shorts III läuft. Der Protagonist Reda ist nach drei Jahren in Griechenland zurück im palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon und bereitet seine Hochzeit vor. Dabei lässt uns der Filmemacher hautnah am Leben von Reda teilnehmen, unbeirrt von Drogen und Kriegshandlungen, ungeschönt und direkt, mit all seinen tragischen und gleichzeitig lebenbejahenden Momenten. So schockierend wie dieser Film ist, so sehr hat er mich gleichzeitig in seinen Bann gezogen und fasziniert. Ich konnte mich danach nicht gleich auf etwas neues konzentrieren, sondern musste dieses 30-minütige Werk erst einmal auf mich wirken lassen.

Oustaz Bentley Brown
»Oustaz«

Vielleicht liegt es an meiner allgemeinen Begeisterung für Dokumentarfilme, vielleicht beweisen aber auch einfach nur die diesjährigen Shorts, dass eine Geschichte aus dem Leben in kurzer und prägnanter Weise eine ganze Welt offenbaren kann. In der diesjährigen Kurzfilm-Sektion der Berlinale haben mich deswegen vor allem jene Stories fasziniert, die das Leben selbst zum Star machen. Auch mein nächster Favorit der Reihe Shorts II ist somit eine Doku. Jedoch hat mich hier vor allem die Montage des Films vom Hocker gerissen. „Oustaz“ erzählt das Porträt einer Jugend im Tschad. Bentley Brown, der Macher des Films, sucht seinen Freund Oustaz in alten Videoaufnahmen und nimmt uns mit auf eine Reise in seine eigene Vergangenheit. Aufgewachsen im Tschad zählt für ihn und seine Freunde damals nur eins: Filme machen und Zusammensein. Einfach umwerfend wie es dabei Brown gelingt uns diese ganz spezielle Jugend in einem Entwicklungsland emotional nahezubringen. Dabei kann man nicht nur in die Alltagskultur und Lebenswelt der Jugendlichen eintauchen, sondern baut in kürzester Zeit quasi eine Bindung zu den Protagonisten und vor allem zu dem schrulligen Oustaz auf. So stark, dass ich mir sogar eine Träne am Ende nicht verkneifen konnte.

Winds Junction - Film Still 02
»Tsomet Haruhot«

Ebenso aus dem Leben gegriffen wirkt auf den ersten Blick der nächste Beitrag des isarelischen Regisseurs Rotem Murat. Doch entpuppt sich das scheinbar selbstgedrehte Hobbyfilmer-Video zu einem spannend konstruierten Thriller. Ein junges Paar. Die üblichen Zänkereien und eine Autofahrt nach Sinai, die eine ungeahnte Wendung nimmt.

ESTATE Ronny Trocker
»Estate«

„Estate“ hat mich nicht nur thematisch wachgerüttelt sondern vor allem auch in seiner szenischen Umsetzung fasziniert. 2007 fotografiert Juan Medina in Spanien eine Gruppe von Männern, die völlig erschöpft am Strand liegen, weil sie über das Mittelmeer geflohen sind. Das Gestern ist heute – mit dem Unterschied, dass sich heute niemand bewegen kann. „Estate“ haut uns das Thema Flüchtlinge wie die Faust aufs Auge und bringt die Absurdität, der sich täglich wiederkehrenden Szenen an den Stränden Südeuropas, in unsere Kinosäale und Wohnzimmer. Kurz, wie ein Schnappschuss und doch gleichzeitig mit der ganzen Deutlichkeit und Macht visueller Bilder. Bravo!

D'Ambrose Still 3
»Six Cents in the Pocket«

Um mich für den letzten Favoriten zu entscheiden, hat es ein wenig gedauert, da ich mehrere Kandidaten in der Auswahl hatte. Letzendlich habe ich mich für die amerikanische Produktion „Six Cents in the Pocket“ entschieden. Ein junger Mann, der dringend Geld braucht, hütet das Apartment von Freunden. Postkarten aus der Ferne geben Bericht über die Reise. Quasi als Stillleben erzählt Ricky D’Ambrose den New Yorker Alltag des Protagonisten in all seinen monotonen Facetten. Sowohl Bildsprache als auch die Musikalität bilden zusammen eine Harmonie. So ändert sich auch die Tonlage des Films, mit den Rumoren eines abstürzenden Flugzeugs.

Beeindruckt haben mich neben diesen fünf filmischen Schmuckstücken außerdem Ben Russels skurriler Doku-Thriller »He Who Eats Children« aus dem Dschungel von Suriname, der vietnamesische Autorenfilm »Another City«, der die verlorene Liebe in der Anonymität der Großstadt erzählt, die Doku „El Buzo“ über einen Taucher im Müllsumpf von Mexiko City, und die chinesische Produktion »Bai Niao«. Letztere kann ich euch vor allem wegen seiner großartigen Fotografie ans Herz legen. Am Ende bleibt nur zu sagen: Auf die Plätze, fertig und rein in den Kinosaal!