SICILIAN DIARY ist eine kontinuierliche Serie, die euch Einblicke in mein Leben in Sizilien bietet und euch spannende Projekte, Persönlichkeiten und versteckte Orte vorstellt. Einer von ihnen ist definitiv der Künstler, Bildhauer und Schäfer Lorenzo Reina. Mit seiner Fattoria dell'Arte hat er in Siziliens Hinterland einen Ort geschaffen, an dem Traum und Realität eins werden....

100 Kilometer landeinwärts von der Hauptstadt Palermo entfernt, liegt ganz in der Nähe des Ortes Sant Stefano di Quisquina, die „Fattoria Dell’Arte“ – Hof, Farm und Wirkungsstätte des Künstlers und Hirten Lorenzo Reina. Lorenzo wohnt seit seiner Kindheit hier. Das Land gehörte seinem Vater und dessen Vorfahren. Als Jugendlicher wollte Lorenzo einem Leben als Schäfers entfliehen. Er begann sich eine Zukunft als Bildhauer weit weg von Sizilien zu ersinnen. Als das Leben seines Vaters jedoch zu Ende ging, versprach er ihm das Erbe und die Farm zu übernehmen. Er blieb.

Heute ist der Hof weitaus mehr als nur eine „einfacher Zuchtbetrieb“. In über 1000m Höhe öffnet uns Lorenzo die Pforte zum Theater Andromeda. Rund 30 Jahre hat Lorenzo alleine an der Fertigstellung des Theaters im Stile der antiken griechischen Amphitheater gebaut. Es ist Teil seiner Kunstinstallationen, die der „Fattoria dell’Arte“ ihrem Namen verleihen (zu dt. „Farm der Kunst“). Dazu gehören mehrere Skulpturen und sogar ein eigens errichtetes achteckiges Museum, in dem er neben seinen eigenen Arbeiten, verschiedene Künstler kuratiert. Aufstrebende Talente sollen hier Raum und Möglichkeiten haben sich zu entfalten. In diesem Jahr ist Lorenzos Werk Teil der Architektur-Ausstellung der berühmten Biennale von Venedig. Ein Traum ist damit für ihn wahr geworden.

Mehrmals im Jahr finden auf den exakt 108 Steinklötzen des Theaters Besucher ihre Platz. Dann lädt der Schäfer unter anderem Musiker, Schauspielensemble oder Tänzer ein, die Bühne mit Leben zu füllen. Für Lorenzo ist das Theater eine Art „Raumschiff“ im Wandel der Zeit. Die Sitzplätze der ellipsenförmigen Freilichtbühne entsprechend den Lichtern des Andromedanebel – jener Galaxie, die laut Berechnungen der Astrologen in rund zwei Milliarden Jahren mit unserem Sonnensystem, der Milchstraße, kollidieren wird. Benannt ist sowohl das Sternenbild, als auch das Theater, nach der Tochter der äthiopischen Königin Kassiopeia, jener Mutter, die aufgrund ihres Hochmuts die überschwängliche Schönheit ihres eigenen Kindes in Konkurrenz zu den Reizen der Nereiden stellte – den Nymphen des Meeres und Begleiterinnen des Gottes Poseidon. An einen Felsen gekettet und dem Seeungeheuer Ketos zum Fraß vorgeworfen, war es der sagenumwobene Held Perseus, der Andromeda befreite und sie zur Frau nahm.

Wer hier ins Teatro Andromeda eintritt, kann nicht nur das atemberaubende Panorama der Monti Sicani bewundern, sondern die metaphorische Verschmelzung zwischen Legende und Realität, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Raum und Zeit, und letztlich zwischen Kunst und Natur spüren. An einem klaren Tag sieht man hier am Horizont, an dem sich das Mittelmeer zwischen Sizilien und Afrika über die Bergketten der Monti Sicani erhebt, die Insel Pantelleria. In Santo Stefano Quisquina hat man nicht nur das Gefühl den Sternenhimmel einzufangen, sondern auch den Himmel auf Erden. Wer Lorenzo besucht kommt auch in den Genuss ursprünglicher sizilianischer Küche.

Bereits die Straße und Fahrt zum Teatro Andromeda ist ein Spektakel!

Mit seiner Frau und Söhnen bespeist der Künstler Gäste und auch das Publikum nach einem unvergesslichen Abend. Alles was auf den Tisch kommt, stammt aus eigenem Anbau: Auberginen und gegrillte Paprika in feinstem Olivenöl, bester Käse, Wein, Brot und purpurrote Granatapfelkerne. Außer für den Fisch braucht Lorenzo keinen Supermarkt mehr. Von Generation zu Generation weitervererbt, wird hier Landwirtschaft nach dem Konzept der Permakultur betrieben. Besonders die Herstellung des Ricotta hat hier eine lange Tradition und zählt zu seinen Geheimnissen.

Die Sonne versinkt langsam hinter den Bergen und blinzelt ein letztes Mal exakt durch den schreienden Mund der steinernen Maske am Eingang des Theaters. Dieses Lichtspektakel hat Lorenzo bereits beim Entwurf der Skulptur geplant. Die Melodie eines Liedes aus alten Zeiten klingt durch die Nacht: „Tuttu l’oru all’aranci, Li pirati arrubbaru, Li campagni spugghiati, Cu la negghia lassaru“ – All das Gold der Orangen raubten die Piraten, die Felder beschmutzten sie und ließen sie mit Nebel zurück. Ein Tag auf der Fattoria dell’arte geht zu Ende und mit ihm scheint ein neuer Traum geboren zu sein.

FACTS

Fattoria dell’arte – Contrada Rocca
Santo Stefano Quisquina, Italy
Öffnungszeiten nach Vereinbarung
Tel. 388 120 3296 oder 328 767 1914
Email: fattoriadellarte@gmail.com

Mehr Infos zu den Events im Teatro Andromeda gibt es hier oder auf FB und Insta.

all pictures (c) Helen Hecker