Bereits im Februar habe ich euch von der Fotografin Claudia Andujar berichtet, deren Fotografien über das Leben der Yanomami mich während einer Reise nach Paris in den Bann gezogen haben. Ein anderer Fotograf, der in seinen Bildern ebenso die Seele und Wunden des Regenwaldes im Herzen Brasiliens einfing, ist Tommaso Protti. Mit anderem Auge und ähnlicher Sensibilität wie Andujar erzählt er uns von den Menschen im heutigen Amazonas-Gebiet, von der sozialen und humanitären Tragik sowie der unaufhaltsamen Zerstörung der Lunge unseres Planeten.
Ein abgeholztes Gebiet im südlichen Bundesstaat Maranhao, vom Hubschrauber der nationalen Umweltbehörde IBAMA aus. Maranhão ist einer der am stärksten von Waldbränden und illegalem Holzeinschlag betroffenen Staaten, der 75% seiner Waldfläche verloren hat.
© Tommaso Protti für die Fondation Carmignac Grajaú, Brasile

Auch die ausdrucksstarken Schwarzweiß-Fotografien von Tommaso Protti habe ich in Paris entdeckt, genauer gesagt in der MEP –Maison Européenne de la Photographie. Für seine Arbeit „TERRA VERMELHA“ erhielt der italienische Fotojournalist den rennomierten Carmignac Photojournalism Award unter dem Vorsitz von Yolanda Kakabadse, ehemalige Umweltministerin Ecuadors und Ex-Präsidentin des WWF. Zwischen Januar und Juli 2019 legte Protti in Begleitung des britischen Journalisten Sam Cowie Tausende von Kilometern zurück und durchquerte den brasilianischen Amazonas um von der Landschaft und den Menschen dieser Region ein Portrait zu machen, das unter die Haut geht. Für ihre Reportage reisten sie von Maranhão im Osten des Landes bis nach Rondônia im Westen und in die Staaten Pará und Amazonas.

Mitglieder der Guajajara-Waldwache, die im Araribóia-Reservat im Bundesstaat Maranhão patrouillieren, schlugen einen anderen indigenen Mann, von dem sie vermuten, dass er mit illegalen Holzfällern zusammenarbeitet. © Tommaso Protti
Ein Mordopfer in Manaus, das kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden war. Er wurde in der Nähe seines Hauses erschossen. Mit etwas mehr als zwei Millionen Einwohnern liegt die Mordrate der Stadt bei regelmäßig mehr als fünf Morden am Tag. Laut Behörden steht die Mehrzahl der Morde in Verbindung mit dem Drogenhandel.

Tommaso Prottis Fotografien sind dabei nicht nur einfache Dokumente, welche die menschlichen Massaker und die Zerstörung der Natur erfassen, sondern seine Bilder sprechen klare Worte. Sie prangern an ohne die Menschen zu verurteilen. Sie vermitteln Empathie ohne rührselig oder sensationslustig zu sein. Sie bewegen und sind gleichzeitig von einer bestürzenden Ästhetik. Mit jedem Bild wird das Feingefühl und die unglaubliche Nähe des Fotografen zu seinen Akteuren sichtbar. Er portraitiert indigene Stämme genauso wie gewaltbereite Jugendgangs, illegale Holzarbeiter genauso wie christliche Fundamentalisten. Sein observierende Blick geht über in ein Gefühl von Partizipation. Und genau das ist es, welches das Werk Prottis so ehrlich und fassbar machen.

Doch noch etwas mehr erzählen die Fotografien des Journalisten: Sie geben Aufschluss über die Zusammenhänge zwischen den vielen Formen der Gewalt und dem exponentiellen Anstieg des weltweiten Konsums von Kokain bis Rindfleisch. Es wird deutlich, dass die Gangs und der Missbrauch direkte Folgen der Veränderungen auf dem internationalen Markt sind. In einem Statement sagt Protti, dass die Wälder einen Punkt erreichen würden, an dem es kein Zurück mehr gäbe und die Ursachen für die Entwaldung vor allem der illegale Holzhandel, die landwirtschaftliche Expansion und sowie die private und staatliche Gewinnung von Ressourcen sind. Jede Minute (!) vierliert der Amazonas-Regenwald eine Fläche so groß wie ein Fußballplatz. Das Interesse der Arbeit Prottis gilt also der Sensibilisierung der Öffentlichkeit und sein Ziel ist es, im Betrachter selbst kritische Fragen aufkommen zu lassen, die zu einer neuen Wahrnehmungswelt führen.

Tommaso Protti wurde 1986 in der norditalienischen Stadt Mantua geboren. Heute lebt und arbeitet er in São Paulo, Brasilien. Nach seinem Diplom in Politikwissenschaft absolvierte er einen Master in Fotohournalismus und Dokumentarfotografie am London College of Communication. 2011 begann er dann seine Karriere als freiberuflicher Fotograf, die er insbesondere Langzeitprojekten in Italien, der Türkei und Brasilien widmete. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, so zum Beispiel in der Royal Albert Hall, Les Recontres d’Arles, Prix Bayeux-Calvados, Belfast Photo Festival, oder dem Macro Museum in Rome. Internationale Zeitungen und Magazine wie die The New York Times, das Time Magazine, die National Geographic, The New Yorker oder Le Monde veröffentlichten seine Bilder.

Careiro Castanho, Amazonas. A community Easter nativity play in a small town 100 km from Manaus, organized by the local Catholic Church. Even if Evangelical Christians account for about a quarter of the population, Brazil remains the world’s most populous Catholic nation.

Ihr wollt mehr über die Arbeit Tommaso Prottis erfahren? Dann besucht seine Website www.tommasoprotti.com oder folgt ihm auf Instagram.