Interview: Einmal Slowen mit Niconé

Wer oder was ist dieser Niconé? Die Antwort darauf ist eigentlich ganz einfach: Niconé ist eine spielerische Mischung aus natürlicher Gelassenheit und unbeschwerter Eleganz, unrasiert und latent übernächtigt, aber von Kopf bis Fuss eine sympathische Stilikone mit einem Instinkt für gute Musik und einem ausgefeilten Sound. Wer ihn noch nicht kennt, sollte das schleunigst nachholen.

Alexander Gerlach, der Mann, der sich hinter Niconé versteckt, schwirrt nicht erst seit Kurzem im Musikbusiness herum. Zuerst war er Sänger der Electro-Clash Band „Die Raketen“, dann gewann er mit Kai Michael Paul 2001 den Echo als „Best National Newcomer Dance Act“ und gut 10 Jahre später nahm er mit dem nicht minder talentierten Sascha Bremer das gemeinsame Album „Romantic Thrills“ auf. Es folgten zahlreiche erfolgreiche EPs, darunter Partyhymnen wie Caje oder Thänk you. Mit Philipp Bader gründete er schließlich das Electronic Label Dantze und debütierte letztes Jahr mit seinem ersten Solo-Album auf Stil vor Talent. Was kann man daraus schließen? Richtig: Niconé ist alles andere als langweilig. Sein Sound bleibt stets leichtfüßig und bindet sich ungern an Klischees, sondern variiert zwischen straffem Deep House und experimentellem Pop-not-Pop. Niconé verleiht der Musik einen „Twist“, mit dem er nicht selten von Neuem überrascht. Wir trafen den gewandten Musiker zu Kaffee und Kuchen im Coffeshop Westberlin auf der Friedrichstraße, um mit ihm über seinen neuen musikalischen Streich – das Konzeptalbum „Slowen“ – zu sprechen und zu entdeckten was sich hinter dem Mysterium Geschwindigkeit verbirgt. Und bitte:

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Noch ein paar Tage, dann ist 2014 vorbei. Neues Jahr, neues Konzept? Im Januar veröffentlichst du SLOWEN. Ein neues Solo- bzw. wie du es selbst bezeichnest Konzeptalbum. Was für eine Idee steckt hier der Platte?
Eigentlich wollte ich ja nach meinem Solo-Album, den nächsten Longplayer zusammen mit Sascha Braemer produzieren. Der sitzt an seinem Solo-Album nun allerdings schon fast 3 Jahre und braucht eben ein bisschen mehr Zeit. (grinst) Ich wollte deswegen die Zeit nutzen und in eigenes Chillout Album machen. Also eine sehr langsame Platte mit komischen Beats und nicht so richtig clubig, aber irgendwie doch auch wieder tanzbar. Eben eine komplett andere Facette von mir, die sehr deep und slow ist, mit viel Atmosphäre. Eine Platte, die man am Ende auch in einem Café wie diesen hier laufen lassen kann oder im Büro. Ich hab gern Musik überall und immer an. Und das geht oftmals nicht, ohne dass sie im Hintergrund stört, zum Beispiel beim Telefonieren. Die Initialzündung war letztlich jedoch, dass ein Track von mir einmal Ausversehen im Bereich „Chillout“ in den Beatport-Charts gelandet ist und dort so gut lief, dass er Monate auf Platz 1 war. Da hab ich mir gedacht: Wenn das mit einem Track klappt, der kein Chillout-Stück ist, warum dann nicht mal ein ganzes Album davon machen. Zeit hatte ich und nebenbei kann ich Sascha ein bisschen ärgern, wenn ich gleich noch ein Solo-Album raushaue. Dann können wir hoffentlich bald auch unser gemeinsames Projekt umsetzen. (lacht)

Warum ein Chillout-Album? Waren die letzten Jahre zu laut?
Die waren auf jeden Fall laut, aber nicht zu laut. Es geht immer noch lauter. Ganz klar. Aber man könnte tatsächlich sagen, dass ich ein Stück älter geworden bin. Was wiederum nicht bedeutet, dass ich jetzt abkacke und ein Obersoftie werde. Dennoch habe ich ganz einfach Lust auf diese Facette gehabt. Wir sind immer im Club, es ist immer Terror und Juhu und es ist immer laut. Aber Chillout kann man durchaus auch laut hören und trotzdem dabei abchillen.

Das heißt Slowen ist nicht nur etwas fürs Wohnzimmer?
Nein, auf keinen Fall. Ich könnte mir vorstellen, dass man zu dem ein oder anderen Stück auch ruhig mal mit dem Popo wackeln kann.

Stehst du allgemein auf Geschwindigkeit oder lebt es sich langsam besser?
Das ist eine gute Frage… Es lebt sich langsam besser, aber das habe ich noch nie geschafft. Bei mir heißt es immer Geschwindigkeit. Auch bei der Produktion dieses Albums kam ich mir teilweise ein bisschen manisch vor. Ich habe da jeden Tag dran gesessen und wollte es unbedingt, so schnell wie möglich, fertig haben. Obwohl ein gutes Album, wie ein guter Wein, eben manchmal auch Zeit braucht. Ich habe die Langsamkeit jedoch nie kennengelernt und nun versuche ich es mir durch das Album beizubringen. So setze ich mich morgens normalerweise hin und mache mir einen Kaffee nach dem anderen. Mit Slowen bin ich erst einmal runter gekommen und hab mir einen Tee gemacht. Nee, Quatsch! Orangensaft! Das ist besser. (lacht)

Ich würde gern alles langsam schaffen, aber irgendwie wird es immer schneller.

„Slow“ mutiert in letzter Zeit scheinbar zu einem Trend unserer Generation. Es gibt „Slowfood“, „Slow Travelling“, „Slow Money“ und sogar „Slow Sex“. Sollten wir alle ein bisschen slower sein?
Ich glaube tatsächlich, wir können das ganz gut gebrauchen. Ich merke das selbst an mir. Ich spreche zum Beispiel viel zu schnell. Wenn ich langsamer reden würde, könnte ich meine Gedanken besser sammeln und noch prägnantere Sätze zum Besten geben. Deshalb macht es schon Sinn manchmal ein bisschen zu warten oder nicht gleich das raus zu blabbern, was einem gerade auf der Zunge liegt. Durch ein bisschen mehr Langsamkeit und Nachdenken, kann man denk ich noch bessere Ergebnisse erreichen. Das ist natürlich aber nicht immer leicht, da unsere Zeit sehr schnelllebig ist. Man sieht es allein schon daran, wieviel Millionen von Tracks jede Woche herauskommen. Ich als DJ will natürlich immer das Neueste und Beste spielen. Dann haue ich schnell Lieder weg, obwohl die erst eine Woche alt und trotzdem super sind, nur um Platz zu machen für die Neuen.

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Du bist Sänger, DJ, Produzent, Label Chef und zudem Grafikdesigner mit einem Fabel für eigene Modekreationen. Habe ich irgendwas vergessen?
Eigentlich nichts. Abgesehen davon, dass ich nicht sagen würde, ein Sänger zu sein. Ich habe versucht zu singen. Bei den Raketen damals hat die Stimme noch zu dem raffen Sound der Gitarren gepasst. Heute stehe ich jedoch nicht mehr ganz darauf. Wir haben tatsächlich immer noch ein komplettes Raketen-Album auf der Festplatte liegen, was wir nie rausgebracht haben.

Echt?
Ja. Darauf gibt es sogar ein Lied, dass wirklich super ist und wir alle gut fanden. Aber jetzt finde ich es schwierig zu releasen, weil ich mittlerweile deutsche Texte auf elektronischer Musik als ziemlich grenzwertig empfinde. Aber man weiß ja nie. Vielleicht nächstes Jahr. Man ändert sich ja gottseidank die ganze Zeit.

Veränderungen ermöglichen oft erst kreativen Freiraum. Wie wichtig ist Dir Kreativität und Vielfalt im Leben?
Das mir das sehr wichtig ist, sieht man ja bereits am zweiten Album. Ein ganz anderes Gesicht. Ich bin schnell gelangweilt von etwas. Wenn ich ein Thema kapiert habe, muss auch schon das nächste her. So geht’s eigentlich die ganze Zeit. Und aus diesem inneren Treiben, folgt dann natürlich auch wieder die Schnelligkeit über die wir bereits sprachen.

Wenn man sich deine Fotos und Cover anschaut, sieht man schnell, dass visuelle Ausdruckskraft eine große Rolle bei dir spielt. Machst du die Sachen meistens selbst?
Ja, vieles davon mache ich. Philipp Bader und ich haben ja Dantze gegründet, bei dem ich die ganzen Cover der Releases selbst entwerfe. Da gibt es zum Beispiel die Idee einer Polaroid-Strecke für die Cover. Und auch für Slowen habe ich es jetzt selbst gesetzt. Eigentlich wäre ich gern fauler und würde mein Cover gern mal von anderen Leuten machen lassen. Oft habe ich dann aber immer wieder etwas zu kritisieren und das wird dann so stressig, dass ich es lieber gleich allein mache. Das Foto für Slowen habe ich natürlich nicht selbst geschossen. Wir haben uns jedoch auch hier zusammen hingesetzt und gebrainstormed und ich finde es ist ganz gut geworden.

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Lieblingsstadt und absoluter Niconé Reisetipp: Tokio

Niconé. Klingt irgendwie Französisch oder irre ich? Wie kam es denn zu dem Namen? Oder soll ich besser sagen Künstlerprojekt?
Erst gab es natürlich die Musik und dann ist mit meiner damaligen Freundin ein Projekt daraus geworden, weil wir das ganze mit Mode verbinden wollten. Französisch sieht es wahrscheinlich nur durch den Akzent über dem „e“ aus. Damals wollte ich gern einen Projektnamen in dem nicht mein eigener Name drin vorkommt. Niconé setzt sich zusammen aus: Nico – die Sängerin von Velvet Underground und der Zeit von Andy Warhol, die Zeit der Ikonen – iconé. Das ganze verschmilzt dann zu einem Wort. Außerdem ist es so ein Unisex-Ding, den das schöne an dem Namen Nico ist, dass man nie ganz weiß, ob es nun männlich oder weiblich ist.

Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, was du heute machen würdest, wenn es keine Musik wäre?
Dann wäre ich bei Keinemusik. (lacht). Als Kind wollte ich ja eigentlich Trickfilmzeichner werden. Aber das wäre ich ja allein schon deswegen nicht geworden, weil ich in Richtung Grafik gegangen bin. Vielleicht wäre ich Stargrafiker? Oder aufm Eisbrecher gelandet..!?

Wann hast du angefangen mit der Musik?
Ich glaube mit 17 oder 18 Jahren. Damals hatten wir einen Plattenladen, den wir auch richtig runtergewirtschaftet haben. Anstatt die Platten zu verkaufen, haben wir sie bestellt und dort gehortet. Das war dann finanziell nicht so clever. Aber musikaffin war ich schon immer. In der Zeit habe ich auch gelernt Platten zu synchronisieren, was man als Dj ja drauf haben muss. Nur hasste ich damals alle DJ’s, weil es so eingebildete Penner waren.

Du bist in Dresden geboren, aber lebst seit über 10 Jahren in Berlin und reist ständig durch die ganze Welt. Was bedeutet für dich zu Hause und kennt ein Niconé überhaupt so etwas wie Wurzeln?
Ich freue mich, wenn ich nach Hause komme. Aber das nach Hause ist kein richtiges zuhause. Ich habe immer noch große leere Räume in meiner Wohnung, die minimalistisch eingerichtet sind. Womit ich mich jetzt wirklich wohl fühle, ist mein neues Bett, das ich aber auch in einem Hotelzimmer entdeckt habe. Ich habe wirklich oft Fernweh und ziehe in Berlin fast alle zwei Jahre um. Ich bin nie wirklich gesettled. Manchmal vermisse ich das. Wenn ich aber wieder zu lang irgendwo verweile, nervt es mich. Ich liebe es unterwegs zu sein. Toll wäre es immer eine Woche dort zu leben, wo man einen Gig hat. Das macht aber nur Sinn, wenn man von New York nach Tokio zieht usw.. Bei Eisenhüttenstadt oder Saalburg, ist das nicht so geil. (lacht)

Ok. Und nun Alexander Gerlach in Kürze. Dein Song für den Moment?
Summerbelly von Tythe

Drei Alben, die in keiner Plattensammlung fehlen dürfen?
Ich bin ein großer Beastie Boys Fan. Also sage ich mal: „Paul’s Boutique“, dann De La Soul mit „De La Soul is Dead“ (Die Coolen hätten jetzt natürlich „3 Feet High and Rising“ genommen, aber De La Soul is Dead hab ich wirklich hoch und runter gehört.) und „The White Room“ von KLF.

Der schönste Ort in Berlin um zu chillen?
Mein Studio

Das machst du sonntags am liebsten?
Ich würde gern sonntags mehr machen, aber meistens sitze ich in einem scheiß Flugzeug und warte, dass ich ankomme. Allerdings endet der Sonntag meistens so, dass ich versuche, das geilste Essen zu bekommen, was es gibt auf der ganze Welt und danach schaue ich mir die finstersten Filme an.

Das beste Restaurant in Berlin?
Da ich so ein Japan-Fan bin und auf Sashimi etc. total stehe, empfehle ich „Ishin“. Dort ist es zwar nicht so gemütlich oder schick, aber die haben den besten angebratenen Toro. Und es geht ja um’s Essen.

Wirklich sexy ist . . .
Cheesecake.

Wenn man dich auf der Straße trifft, sollte man . . .
Sollte man nicht die Straßenseite wechseln, oder sollte man? Nein sollte man nicht. Oder doch? Nein sollte man. Besser nicht. (lacht)

Dein ultimativer Tipp gegen den Kater?
Den suche ich ja schon seit Jahren. Aber das beste ist immer noch der Konterdrink. Einfach da weiter machen, wo man aufgehört hat. Ich versuche es immer zu vermeiden. Aber hilft nix. Einfach weitermachen.

Last but not least: Deine Frage.
Wird’s morgen warm?

DANKE ALEX ♥

images © Arne Grugel