Im März hätte das C/O Berlin Francesca Woodman, die Ausstellung "On Being an Angel" gewidmet, die nun leider aufgrund des Corona Virus ausgesetzt wurde. Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen und euch eine der bedeutendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts näherzubringen.

Als ich vor gut zehn Jahren das erste Mal eine Fotografie von Francesca Woodman in den Händen hielt, zog mich ihre metaphysische Bildsprache und Intensität sofort in den Bann. Nie zuvor hatte ich Fotos gesehen, die so stark und gleichzeitig zerbrechlich wirkten. Jedes Bild schien von einem Geheimnis umwogen zu sein – gleich der Seele der Künstlerin, die viel zu früh diese Welt verließ.

From Space2, Providence, Rhode Island, 1976 © Francesca Woodman

2013 wurde der englische Begriff „Selfie“ zum Wort des Jahres erklärt. Bei den meisten Smartphone-Besitzern ist diese „Fotopraxis“ so alltäglich, dass oftmals die Sinnhaftigkeit dahinter hinterfragt werden könnte. Doch wie viele von euch vielleicht wissen, ist das Selfie wesentlich älter als die Erfindung des Mobiltelefons. Bereits vor Jahrhunderten bildeten die großen Maler unsere Geschichte ihre Selbstbildnisse auf Leinwänden Später experimentierten Fotografen wie Man Ray, Claude Cahun, Cindy Sherman und Andy Warhol mit der künstlerischen Darstellung ihrerselbst in zeitlosen Aufnahmen. Eine von ihnen machte jedoch das fotografische Selbstportrait zu ihrem wohl bedeutendsten Stilelement: Francesca Woodman.

Untitled (from Swan Song series), Providence, Rhode Island, 1978 © Francesca Woodman

Ein nackter Körper der gleichzeitig vor und in einem Spiegel tanzt, ein Körper der Jesus Christi gleich im Türrahmen hängt – was macht diese junge Frau da? So könnte die Frage der meisten beim betrachten der Bilder Francesca Woodmans lauten. Oftmals scheinen sie in Rätseln zu sprechen. Sie sind in verlassenen Gebäuden inszeniert. Sie spielen mit ikonischen Darstellungen von Lilien, Muscheln oder Aalen, welche die Fotografin als Metaphern für Weiblichkeit und Männlichkeit eigenmütig einsetzt. Immer wieder spielt sie mit Bewegungsunschärfen und Spiegelungen, rekonstruiert und dekonstruiert, maskiert und fragmentiert ihre Motive. Engelsgleich, surreal und oftmals melancholisch entsteht dabei eine Bildsprache die von einem immateriellen Geist beseelt zu sein scheint.

Zu Lebzeiten kaum bekannt, gehört Francesca Woodman heute zu den wohl bedeutensten und ebenso umstrittensten Namen der Fotografiegeschichte. Woodman wurde im April 1958 in Denver als Tochter eines Keramikers und Malers geboren. Es war ihr Vater George, der sie an die Fotografie und Kunst heranführte und ihr die erste Kamera schenkte, die er selbst nicht nutzte. Francesca war gerade 13 Jahre alt. Sie stand kurz vor ihrem Eintritt in die Kunstakademie, als sie die ersten Aufnahmen knipste, unter denen sich natürlich auch ihr erstes „Selfie“ befand. Ohne Zweifel sind Selfies heute für die meisten Dreizehnjährigen nichts besonderes. Doch damals war eine solche Fotografie in so frühen Jahren auch für die Tochter eines Künstlers eine Ausnahme. Erst Recht, wenn man ein Mädchen war.

Untitled, New York, 1979 © Francesca Woodman

Ungewöhnlich war Francesca gewiss und ungewöhnlich war leider auch ihr zeitiger Tod. Während ihres Fotografie-Studium an der Rhode Island School of Design reist Woodman nach Italien und beginnt dort ein Jahr lang auf Entdeckungstour zu gehen. Sie kommt mit dem Surrealismus in Kontakt und machte die Kunstrichtung zu einem wiederkehrenden Element in ihren Aufnahmen. Bei ihrer Rückkehr in die USA erzielt ihr eigenwilliger Stil jedoch wenig Erfolg. 1980 zieht Woodman nach New York. Doch auch in der hiesigen Modeszene, zu der sie sich hingezogen fühlt, bekommt sie nur wenig Aufmerksamkeit. Ein Jahr später, mit nur 22 Jahren, setzt das junge Talent ihrem Leben ein Ende und springt aus einem Loft in der New Yorker East Side.

Untitled, New York, 1979–1980 ©Francesca Woodman

So rätselhaft ihre Bilder sind, so rätselhaft bleibt auch ihr Tod. Obwohl Woodman zu Lebzeiten nur eine einzige Fotosammlung mit dem Titel Some Disordered Interior Geometries veröffentlicht, hinterlässt die Amerikanerin ein Werk von rund 800 Arbeiten, deren Einmaligkeit leider erst postum Anerkennung fanden. Eine erstaunliche Leistung, beachte man vor allem die kurze Schaffensperiode.

Dank Woodman wurde das Bildnis der Frau von der Gefahr entbunden allein ein Objekt zu sein. Stattdessen erhob sie es zu einer schemenhaften Momentaufnahme, die ins Leere blickt und gleichzeitig die Sinnlichkeit und Verletzlichkeit des weiblichen Körpers in seiner vollen Präsenz zum Tragen bringt. Chapeau Francesca Woodman!

Titelbild: On Being an Angel #1, Providence, Rhode Island, 19777 © Francesca Woodman