Sober Thoughts: Berliner Wochenenden ohne Drogen und Alkohol

Berlins Partyszene ist vielfältig und groß. Ich möchte behaupten, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Doch ist und bleibt Berlin einer der führenden europäischen Techno-Hochburgen schlechthin. Auch Drogen kommen da nicht zu kurz. Ich will euch zeigen wie es ist, wenn man auf den Rausch neben der Party verzichtet.

Alkohol war für mich noch nie ein großes Thema. Naja gut, mit 13 oder 14 haben wir uns in unserem kleinen Dorf in Nordhessen des Öfteren mal auf ein oder zwei Flaschen Vodka im ausgebauten Wohnwagen getroffen. Weit und breit nichts, außer weite Felder. Eine gute Umgebung, um sich ungehemmt dem Alkoholkonsum hinzugeben. Alles Nichts Neues, wenn man Jugendkultur auf dem Land mal genauer unter die Lupe nehmen würde.
Für mich stand relativ schnell fest, dass ich auf den Quatsch gar nicht so große Lust habe, mich daran nichts kickt. Bis circa 16 kam ab und an die Mitläuferin in mir durch und zwang mich dazu, am Apfelkorn zu nippen. Der Alkohol gab mir nichts; wir trennten uns voneinander und es war kein sonderlich schmerzlicher Abschied.

Vier Jahre später zog es mich nach Berlin.

Das Studium hätte vermutlich Lebensinhalt werden sollen, wurde es jedoch nicht. Stattdessen waren lange Parties wichtiger. Viele Bekannte intensivierten diese Partyerlebnisse mit Drogen, Drinks und einer Menge Zigaretten. Letzterem bin ich im Übrigen auch nicht abgeneigt.

23 Uhr
Nehmen wir an, man trifft sich in einer Kreuzberger Kneipe, um sich auf den bevorstehenden Abend einzustimmen – zu was greift die Mehrheit? Bier! Und zwar nicht erst vor Ort, sondern auf dem Weg zur Kneipe, in der Kneipe und auf dem Weg zum Club. Bis 2 Uhr Nachts kommt man dann schon mal gut und gerne auf fünf bis vielleicht sogar sechs Bier.
Ich muss gestehen, dass ich es genieße, meinen Freunden dabei zuzusehen wie sie immer betrunkener werden. Das hat weniger etwas mit Schadenfreude zu tun sondern eher damit, dass zumeist eine völlig andere Art der Gruppendynamik und Harmonie Einzug hält, je voller alle sind. Man ist nicht nur insgesamt lockerer, sondern auch die Art der Gespräche verändert sich. Kommunikation findet mehr als große Gruppe und weniger in vielen kleineren Grüppchen statt.

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1-2 Uhr
Ja, es gibt sie noch. In Berlin lebende Menschen die nicht auf irgendwelchen Gästelisten stehen. Und wenn man dann mal 40-60 Minuten bei knackigen -4 Grad in der Schlange anstehen muss, trinkt man sich die Situation halt warm – mit einem frisch aus dem Eisschrank entnommenen Bier im Späti des Vertrauens.

2-4 Uhr
Endlich im Inneren des Clubs angelangt lässt sich eine seltsame Art der Vernunft beobachten. Ein Großteil der Menge auf der Tanzfläche trinkt Unalkoholisches. Na klar, denn wenn man die Ambition hat die kommenden zwei bis drei Stunden nicht ununterbrochen völlig benommen seinem Vordermann in die Haken zu tanzen, sollte man neben den gerade geschmissenen Teilen oder Pülverchen vielleicht lieber erst mal n Wässerchen trinken. Mischkonsum ist nämlich nicht immer die intelligenteste aller Entscheidungen. Das hat mir mal ein wimmerndes und stark schwitzendes Mädchen im Berghain gesteckt.
Während ich also ebenfalls bei meinem Biozisch Matcha bleibe, eine Masse voller Menschen mit weit aufgerissenen Augen, orientierungslosen Touristen, unbeholfenen Technoneulingen beobachte muss ich sagen, dass ich mich bisher nie unwohl zwischen der ein oder anderen verlorenen Seele gefühlt habe.
Lässt man sich nüchtern voll und ganz auf die Situation ein, hinterfragt die Zustände der anderen nicht und gibt sich der Musik hin, empfinde selbstverständlich auch ich so etwas wie einen Rausch. Nur bin ich der Überzeugung, dass mein Rausch etwas mehr mentale Arbeit erfordert.

4-8 Uhr
Für den ein oder Anderen entscheidet sich in diesen vier Stunden, ob man bis zum bitteren Ende durchzieht, also eventuell Montagvormittag, oder die nächste Bahn nach Hause nimmt. Da ich noch Herrin meiner Sinne bin merke ich langsam aber sicher wie die Knie schmerzen, der Kopf vom Bass dröhnt und die Müdigkeit einsetzt. Da hilft auch keine Apfelschorle mehr. Es ist eine Sache der Einstellung, auf seinen Körper zu hören und sich einzugestehen, ohne Drogen vielleicht nicht so lange durchhalten zu können wie die anderen. Ich habe damit kein Problem und tolle Freunde an meiner Seite, die all das akzeptieren. Meiner Meinung nach oberstes Gebot, wenn man in einer großen Gruppe tanzen geht. Seid füreinander da, toleriert die Art des Feierns des jeweils anderen und haut vor allem nicht einfach ab.

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Der Nachhauseweg
Eigentlich war bis dato nichts gruselig, doch der Nachhauseweg ist es. Betritt man die U8, in der man nun eine gute halbe Stunde ausharren muss, tun sich Bilder auf, die man entweder mit Humor oder Entsetzen realisiert. Verschmierte Mascara, Haare die vermutlich mal wirklich toll aussahen, tellergroße Pupillen, zerissene Strumpfhosen und klitzekleine Bierflüsse vom Typ 12 Sitze weiter, der nonstop seine Flasche fallen lässt, während er versucht wachzubleiben. Dann wäre da noch das Pärchen, das sich erst heute Nacht kennenlernte und sich bereits auf dem Weg ins Bett beinahe auffrisst. Was bis eben noch unter dröhnendem Bass in der sicheren Dunkelheit des Clubs unerkannt blieb, offenbart sich nun im grellen und ungemütlichen Licht der U Bahn. Selbstverständlich könnte man sich auch ein Taxi bestellen, aber dann würden einem die entsetzten Blicke derer vorenthalten bleiben, die gerade auf dem Weg zur Arbeit sind und nicht verstehen, aus welcher Parallelwelt diese ganzen zugedröhnten Gestalten stammen. Und auch wenn man mich in der U Bahn so nie antreffen wird, würde ich doch irgendetwas vermissen.
In diesem Sinne: Hoch die Tassen und auf ins schon bald kommende Wochenende.