Roter Teppich, Blitzlichtgewitter und lange Warteschlangen – nicht fürs Berghain sondern die heißbegehrten Kinotickets! Die Berlinale versetzt jährlich die ganze Stadt ins Filmfieber. Eine deutsche Überraschung war dieses Jahr der mit einem Silbernen Bären prämierte Film "Systemsprenger" von Nachwuchsregisseurin Nora Fingscheidt. Gereift ist das Meisterwerk in der Talentschmiede des Filmfestivals: Berlinale Talents. Was es damit auf sich hat, wer sich als Talent bewerben kann und welche neuen Talente 2019 große Filme schmieden, erfahrt ihr hier.

3401 Bewerbungen, 250 Talente aus 77 Ländern und 130 Expertengäste. Das sind die Kennziffern der Talentförderinitiative und Networking-Plattform der Berlinale. Seit 2003 gibt es die junge Sektion des Filmfestivals bereist, die dank Festivaldirektor Dieter Kosslick, das Licht der Welt erblickt hat. Die Idee dahinter: Ein Hub für junge Kreative, das nicht nur öffentliche Filmvorführungen und Talks bietet – wie dieses Jahr zum Beispiel mit Autorenlegende Roberto Saviano oder dem israelischen Gewinner des Golden Bären Nadav Lapid – sondern auch spezifische Workshops aus allen Bereichen der Filmbranche. Hier können Talente ihr Knowhow auf dem neuesten Stand bringen und dank diverser Networking-Formate mit Regisseuren, Produzenten und anderer Experten ihre neuesten Arbeiten international etablieren.

(c) Bettina Ausserhofer
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New Views on Africa

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Talents Circles

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Bettina Ausserhofer

Wie erfolgreich dieses spezielle Förderprogramm des Festivals sein kann, beweist der Film Systemsprenger. Das Debüt-Spielfilmprojekt der deutschen Nachwuchsregisseurin Nora Fingscheidt ist einer der Favoriten auf den Golden Bären. Nur wenige der 400 Filme auf der Berlinale schaffen es herausstechen. Nora ist dieser Sprung in den Wettbewerb von null auf hundert gelungen. Das Erstlingswerk der erst 35-Jährigen ist eine Low-Budget-Produkt, welche die Geschichte von Benni erzählt, einer gewalttätigen Neunjährigen, die eine Endloskette von betreuten Wohngruppen hinter sich hat.

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Monika Grütters, Nora Fingscheidt und das Systemsprenger-Team

Das bereits preisgekrönte Drehbuch des Films hat einen langen Weg hinter sich. Viele Jahre entwickelte die Filmemacherin die Dramaturgie durch ausgiebige Recherchen, Mitarbeit in Jugendheimen, aber vor allem durch Diskussionen mit Mentoren. Ein entscheidender Schritt gelang ihr schließlich durch die Teilnahme an der Berlinale Talents Script Station im Jahr 2017. Dort hatte sie die Chance mit Filmprofis aus unterschiedlichen Ländern das finale Drehbuch zu entwickeln und erhielt den Kompagnon-Förderpreis sowie die Möglichkeit mit Regie-Ikone Andreas Dresen zusammenzuarbeiten. Et voilà, zwei Jahre später flackert ihr Film über die Leinwand der Berlinale und konkurriert mit den Großen der Filmbranche.

Ähnliches Potenzial haben die Talente, die dieses Jahr ihre Dokumentar-, Spielfilm- oder Kurzfilmprojekte in den Project Labs von Berlinale Talents weiterentwickelten. Dazu zählt zum Beispiel die deutsche Filmemacherin und Komponistin Brenda Lien. Ihr animierter Kurzfilm „Call of Cuteness“ stand auf der langen Liste der „Short Animation“-Oscars 2018 und wurde für den Deutschen Kurzfilmpreis 2017 nominiert. Er ist Teil einer Kurzfilm Triologie mit der die 24-Jährige auf Phänomene des Internet-Zeitalters eingeht und diese mit einem kritischen und dennoch humorvollen Blick analysiert. Bei Berlinale Talents arbeitete sie an ihrem neuen Filmprojekt „Zero Drag“.

Call of Cuteness | 2017 | Film Clip from brenda lien on Vimeo.

Ähnlich wie Brenda widmet sich auch das Drehbuch von Chien Hung Lien aus Taiwan den zwischenmenschlichen Beziehung auf Basis von digitaler Technologie. Mit humorvollen sowie absurden Film Methoden konzentrieren sich seine Arbeiten auf soziale und emotionale Fragen der Menschen von heute. Die Heldin seines neuesten Films „Salli“ besitzt eine Hühnerfarm in Taiwan, die sie niemals verlassen hat. Aufgrund einer Dating App begibt sie sich jedoch auf die Suche nach der große Liebe fern ihrer Heimat. Für Chien Hung ist Berlinale Talents die große Möglichkeit in der Script Station endlich sein Drehbuch mit einer kulturell anderen Sichtweise zu entwicklen. Die internationalen Mentoren und Mentorinnen helfen ihm dabei. Das gibt Hoffnung einen Film zu kreieren, der auch abseits von Taiwan Interesse weckt und gleichzeitig sein Herkunftsland verständlicher macht.

Skizzen aus Chien Hung Liens „Salli“

Dreharbeiten in Nepal

Dass Berlinale Talents vor allem auf dem Netzwerkgedanken beruht und dadurch neue Inspirationen bietet, versichert mir auch Producer Nigam Bhandari aus Nepal. „Es ist unglaublich wieviele Menschen man in kürzester Zeit hier kennenlernen kann“, sagt er. In Nepal gäbe es kaum Förderungen oder die Möglichkeit für ein großes Produktionsbudget. Dank der Diskussionen mit anderen Talenten habe er jedoch neue Möglichkeiten entdeckt und Kooperationen gestartet. Auf diese Weise hat er nun die Hoffnung seinen neuen Film besser zu vermarkten und fliegt mit einem unbeschwerten Gefühl zurück.

Auch für Botschaften, die Themen wie Gender-Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit betreffen, ist Berlinale Talents ein fruchtbarer Boden. So ist eine der Talente die venezolanische Kamerafrau und Director of Photography Wilssa Esser, die an der internationalen Filmschule in Cuba studierte und 2014 das Netzwerk DAFB, Woman cinematographers of Brazil, mitbegründete.

Wer Talent bei der Berlinale werden will, kann sich bewerben. Die Talente kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, von Regie über Produktion, Schauspiel und Drehbuch bis hin zu Kamera, Schnitt, Produktionsdesign, Verleih, Filmmusik und Sounddesign. Die meisten sind keine Anfänger. Viele haben ihren Filmhochschulabschluss schon seit Jahren in der Tasche und berufliche Erfahrungen gesammelt. Ein internationales Auswahlkomitee bewertet nicht nur ihre künstlerische Leistung, sondern achtet auch darauf, wie in den Arbeiten der Talente die sozialen und wirtschaftlichen Kontexte ihrer jeweiligen Herkunftsländer reflektiert werden. Eine entscheidende Rolle spielt also zum Beispiel nicht das Alter des Talents, sondern wie innovativ und zukunftsweisend die Idee ist.

Acting Studio workshop © Peter Himsel

Jean-Louis Rodrigue und der Acting Studio Workshop

Editing Studio workshop © David Ausserhofer

Editing Studio

Mehr Infos über alle Talente, Alumni sowie die Bewerbung gibt es unter www.berlinale-talents.de sowie auf Facebook und Instagram.