Klare Linien, klinische Präzision, augenfällige Schärfe. Die Fotografien des Italieners Nicolò Panzeri werfen einen ungetrübt kritischen Blick auf den Ursprung unserer wohl wichtigsten Energiequelle: Der Nahrung.

In kaum einem anderen europäischen Land wird Kulinarik so zelebriert und wertgeschätzt wie in Italien. Denken wir an die italienische Küche, dann entsteht in unserem Kopf am ehesten eine bildliche Sinfonie aus fleischroten Tomaten und frischem grünen Basilikum. Nicolòs Bilder sind anders. Mit der Reihe Feed us nimmt er uns mit auf eine dokumentarische Reise durch sein Heimatland und dessen Lebensmittelindustrie. Diese erinnert schon lange nicht mehr an den romantisch bäuerlichen Stil. Biotechnologie und Laboratorien gehören heutzutage ebenso zu unserer Ernährung wie masseneffiziente Agrarwirtschaft. Die minimalistisch kühlen Fotografien von Nicolò Panzeri machen dabei das moralische Paradoxon unserer Nahrungsproduktion deutlich: Was in Kochbüchern, Restaurants und schließlich auch auf unserem Tisch appetitlich in Szene gesetzt wird, stammt zum größten Teil aus einem standardisiertem System, das längst die Quelle unseres Lebens regiert. Welche Gedanken den Fotografen bei seiner Arbeit begleiteten und was er uns noch über die Fotografie verrät, erfahrt ihr hier im Interview.

Wie fing alles an?

Ich war schon immer eine Person, die Umweltfragen und deren ethisch korrektem Ansatz sehr nahe stand.
Meine Neugier auf die Hintergründe der Nahrungsmittelproduktion kam insbesondere mit etwa neunzehn Jahren auf. Meine damalige Freundin lieh mir ihr Exemplar des Buches „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer. Ich erinnere mich, dass ich sehr beeindruckt war und sogar beinahe zum Vegetarier konvertierte. In den darauffolgenden Jahren wuchs meine Neugier immer krampfhafter und die gewonnenen Informationen verharrten in meinem Bewusstsein. Während einer Zugfahrt viel mein Blick schließlich auf die Ebene des unteren Po-Tals und ich fragte mich, ob es nicht an der Zeit wäre, eine fotografische Recherche zu starten, welche die Agrarwelt interessieren könnte. Erst später erweiterte ich meine Fotoserie dann thematisch zu dem, was es heute ist. Ich glaube, dass meine Motivation für „Feed us“ tief in meiner Person verwurzelt sind. Rational gesehen, denke ich, dass es der Wunsch war, die Besonderheiten dieses Systems zu erkennen und zu verstehen, wie sich unsere Beziehung zu Lebensmitteln in den letzten Jahrzehnten verändert hat.

Von was genau handelt „Feed us“?

„Feed Us“ dokumentiert die italienische Lebensmittelwelt. Ich habe versucht, diese komplexe Realität ausgehend von den Forschungszentren – den echten Motoren der Industrie – zu analysieren. Die technisch-wissenschaftlichen Errungenschaften, die man als fruchtbar betrachten kann, fließen schließlich in den Massenproduktionsprozess ein. Hätte ich nur die Industrien als letztes Glied in der Kette berücksichtigt, wäre das meines Erachtens moralisch falsch gewesen. Außerdem wollte ich mich bei meiner Arbeit auf Italien konzentrieren, weil es schon immer die Speerspitze für Lebensmittel in Europa war. Auf der anderen Seite habe ich aus meiner Erfahrung als Verbraucher den Schluss gezogen, dass die Herstellung von Massennahrung nicht mehr dieselbe Liebe und Aufmerksamkeit erfährt, die das Land in der Vergangenheit so prägte. In der Vorbereitungsphase des Projekts wurde mir dann bewusst, wie unterschiedlich die Art von Liebe und Respekt für die von Tätigkeiten in der Lebensmittelindustrie sein können. Den Dialog zwischen beiden Welten herzustellen, war daher eine instinktive Entscheidung.

Was hat dich am meisten während deiner Reise durch Italien beeindruckt?

Die Natürlichkeit, mit der diese unnatürlichen Prozesse täglich ablaufen. Und die Natürlichkeit, mit der dieses System unsere Supermärkte und damit unsere Tische füllt.

Bist du ein Genießer?

Genuss ist der Treibstoff unserer Seele. Und die Seele ist wiederum der immaterielle Teil von uns, der gesitig das Gehäuse oder den Mantel ausfüllt, den wir täglich spazieren tragen. Das menschliche Leben ohne Genuss kommt meiner Meinung nach dem Tod gleich. Einige von uns sind einfach gut darin, es zu verstecken.

Was ist dein Lieblingsgericht?

Pasta alla Norma und Parmigiana aus Auberginen. Und weil ich gerade von einer zweimonatigen Indienreise zurückgekehrt bin, möchte ich noch hinzufügen: Chana Masala, eine cremige Speise aus Kichererbsen und Gewürzen, sowie Naan, das berühmte indische Brot.

Woher nimmst du deine Inspirationen?

Von überall. Aus einem Gespräch mit einem Freund bis hin zur Betrachtung einer Landschaft, die vom Zugfenster aus meinen Blick streift. Genauso wie ein Lichtschein, der sich auf einem gepunkteten Marmorboden bricht, oder etwa ein gutes Buch. Aber auch eine Reise hinters Haus oder ein Rezept, das man für ein Abendessen mit Freunden umsetzt, können mich beflügeln. Inspirationen werden durch das Leben, das uns umgibt, und unsere Fähigkeit, seine Details zu erfassen, genährt.

Drei Dinge die ein Dokumentarfotograf haben sollte…

Das Bewusstsein darüber, was er dokumentiert. Dann ist nach meiner Erfahrung nach wichtig, gut informiert zu sein. Das heißt, eine umfangreiche Recherche im Vorfeld ist von erheblicher Bedeutung für ein Projekt. Und schließlich Ruhe und Geduld. Sie sind die Komponenten, die sich jedes Mal als exzellente Reisebegleiter herausstellen.

Wie trainierst du deine Fähigkeiten?

Es ist Neugier, die mich führt und ständig auf die Probe stellt. Sie lässt mich entscheiden, ob ich an einem Thema arbeiten möchte oder nicht, oder ob ich meinen Blick trainiere, indem ich die Arbeiten relevanter Autoren studiere und vertiefe.

Fotografen, die du bewunderst…

Allen voran, Mitch Epstein, Alec Soth, Bryan Schutmaat, Henk Wildschut, Mathias Depardon e Stephen Shore.
Aber ich könnte noch viele weitere nennen.

Eine Fotografie, die du niemals vergessen wirst.

Ich befinde mich gerade in einer Phase des visuellen Detox. Aber ich erinnere mich noch lebhaft an eine Fotografie, in der ich im Alter von 3 oder 4 Jahren inmitten eines Parks mit Dutzenden Menschen neben meinem Großvater stehe und er in einer seltenen und aufrichtigen Zuneigung meine Hand hielt.

Mille Grazie ♥ Nicolò!