MINDGAMES: Das Glück der Zugezogenen

Die ewige Diskussion um das Zugezogenendasein in Berlin muss endgültig ein Ende finden. Ein Plädoyer für die bedingungslose Zusammenkunft.

Unter meinen Freunden bin ich die ,,halb Zugezogene“, da meine Mutter gebürtige Berlinerin ist. Dennoch bin auch ich vor gut 4 Jahren aus der Kleinstadt in die Großstadt gezogen. Die Tatsache, niemanden mehr auf der Straße grüßen zu müssen, endlich Anonymität genießen zu können und jeden Tag ein anderes Land kulinarisch entdecken zu dürfen waren Gründe für den Umzug nach Berlin. Man kennt das. Mit dieser Einstellung bin ich nicht allein und bis heute habe ich diese Entscheidung keinen Tag bereut, weil sie für mich zu meiner natürlichen Entwicklung dazugehörte, um nicht mein Leben lang am gleichen Ort zu versauern. Allerdings gibt es eine Sache, die mir oft unangenehm aufstößt – die Arroganz weniger Einheimischer die sich durch uns, den Zugezogenen, bedroht fühlen. Warum? Wodurch? Simple Fragen die man eigentlich nicht stellen sollte.

Real Talk: ich rede hier nicht mal von der besonderen Problematik zwischen Schwaben und Berlinern und der never ending Story der Gentrifizierung, das ist ja noch mal ’ne ganz andere Baustelle. Dennoch merke ich, dass viele Sätze in einer gemütlichen Runde an einem Samstagabend oft mit den Worten ,,ihr Zugezogenen könnt da nicht mitreden, da wart ihr noch gar nicht hier!“ enden. Hä? Geht das jetzt gerade also nicht, dass wir gemeinsam in einer gemütlichen Runde über Berlin reden können, sondern ich dir jetzt hier zuhören muss, was du alles viel besser über deine Heimat weißt, und was ich auf keinen Fall wissen kann? Sollte diese Thematik nicht eigentlich langsam mal von einer riesengroßen Wolke der Irrelevanz überschattet werden? Bin ich nicht auch eigentlich nach Berlin gezogen, um über meine neue Heimat hemmungslos diskutieren zu können, ohne gleich in die Schublade der nervigen Zugezogenen ohne Plan gesteckt zu werden?

Sprache, Essen, Musik, Kultur, Hundehaufen; alles Dinge, von denen es in Berlin mehr als genug gibt.

Lieber Urberliner, liebe Einheimische, die ihre Heimatstadt verteidigen als ginge es um die Ehre der ganzen Familie: Ich nehme dir nichts weg, weder Erfahrung noch irgendetwas anderes Banales, nur weil wir uns nun 891,8 km² teilen müssen. Und wenn du in meiner Gegenwart nicht mehr das Gefühl hast, du könntest unbeschwert von deinen ,,geheimen“ Hotspots erzählen, weil auch ich sie nun langsam entdeckt und ausprobiert habe, dann lass uns doch einfach gemeinsam dort abhängen. Offenheit, das ist doch genau das, auf das die meisten Menschen Bock haben, wenn sie nach Berlin kommen. Sprache, Essen, Musik, Kultur, Hundehaufen; alles Dinge, von denen es in Berlin mehr als genug gibt – vor allem in verschiedensten Ausführungen. Bereichere dich an ihr und fühle dich von dieser Vielfalt nicht angegriffen.

Und überhaupt, da gibt es noch eine Sache die ich als Zugezogene nicht mehr missen will: Die Option, abhauen zu können. Verschwinden zu können in meine Kleinstadt aus der ich komme und welche ich nach so vielen Jahren der Ablehnung erstaunlicherweise lieb gewonnen habe. Die Großstadt hat mir gezeigt, was die Kleinstadt liebenswert macht, weil die Großstadt Dinge verschluckt, die in der Kleinstadt wunderbar zur Geltung kommen. Es ist nicht so, als wäre die Zeit stehen geblieben – aber die Gewissheit, dass auch nach Jahren alles seinen Platz hat, beruhigt mich mittlerweile sehr. Vor allem dann, wenn Mamas Stimme am Telefon einen vorfreudigen Unterton annimmt wenn ich ihr sage, dass ich bald mal wieder vorbeischauen möchte. Aber mal ganz abgesehen davon, lasst uns doch das nächste Mal in gemütlicher Runde einfach gemeinsam auf Berlin, die Vielfalt, die neu gewonnenen Erkenntnisse und die Schuhe anstoßen, die wir an all‘ den Hundehaufen verloren haben.