MINDGAMES: Wann darf Frau schwach sein?

Das ist wirklich mega stark von dir! Ey, du bist wie ein Panzer der alles überrollt. Sorgen? Warum? Du? Ach Quatsch! Du brauchst dir keine Sorgen machen. Du schaffst das auf jeden Fall! Wenn nicht du, wer dann. Und überhaupt. Mach dir nicht so viele Sorgen. Das hast du gar nicht nötig. Aber dir muss ich das ja nicht sagen! ...einmal tief durchatmen. Und weiter gehts. Doch wann dürfen wir eigentlich noch Schwäche zeigen?

Schaue ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis um, gelten starke Frauen heute ohne Zweifel als weibliches Idealbild unserer Gesellschaft. Zumindest im „westlichen Teil“ der Welt. Frauen haben sich über Jahrhunderte dazu das Recht erkämpft. Schleppend und dennoch unerschütterlich stellten sich mutige Damen immer wieder den bitteren Schlachten der Gleichberechtigung, der Freiheit und Würde. Im letzten Jahrhundert wurden dann irgendwann tatsächlich bahnbrechende Meilensteine gesetzt. Starke Frauen fanden ihren Platz in der Gesellschaft, eroberten Positionen, die zuvor undenkbar waren und errichteten die ersten Denkmäler einer neuen Weiblichkeit. Kurz: Sie standen ihren „Mann“.

Noch immer sind die Kämpfe nicht zu Ende getragen. Die aktuellen Debatten zeigen, welche Brisanz das Thema Unterdrückung, sexuelle Freiheit und Gleichberechtigung nach wie vor haben: #MeToo ist nur ein Beispiel für den Diskurs, der uns umtreibt. Ich habe dazu bisher kaum etwas geschrieben, noch habe ich vor jetzt meinen Senf dazu zu geben. Nicht weil ich etwas daran falsch oder unnötig finde – ganz im Gegenteil! Ich halte einen sozialkritischen Aufschrei immer für ein positives Zeichen und eine lebendige Reaktion auf eingestaubte Gewohnheiten oder das lautlos gewordene Dahinplätschern geläufiger Schlamassel. Jedoch glaube ich, dass bereits ausgiebig über das Thema diskutiert und kritisiert wurde. Ich selbst habe wenig Neues zu sagen.

Ein ganz und gar anderer Antrieb mich „starken Frauen“ zu widmen, ist mein eigenes Dilemma. Dilemma? Fragt ihr euch nun vielleicht. Ja. Tatsächlich fühlt es sich manchmal so an. Doch was meine ich damit?: Erfüllt man heute als Frau in Europa meine Lebens- und Persönlichkeitskoordinaten, sprich: Alleinstehend (mehr oder wenig froh damit), Anfang 30, freiberuflich (mehr oder weniger erfolgreich), mit ein Dutzend neuen Ideen Non-Stop, relativ gut informiert, sozial aktiv und „umtriebig“ (wie meine Mutter sagen würde), sowie ständig auf Achse und hin und wieder von der „kreativen Muse“ geküsst – dann macht man auf andere wohl bisweilen den Eindruck eine „ziemlich starke Frau zu sein“.

Das Problem mit diesem gar nicht so üblen Prädikat, das man von lieben Menschen verliehen bekommt, ist die daran geknüpfte Prämisse „Du (!) schaffst das!“ oder besser noch „War ja klar. Du eben.“ Diese Annahmen formen wiederum einen seltsamen inneren Erwartungsdruck, der sich an alles richtet, was man auch künftig gern unter Beweis stellen möchte. Zum anderen stricken solche Aussagen ein zweischneidiges Gefühl, das uns suggeriert: „Ich muss höher, schneller, weiter“. Zu guter Letzt jedoch kann daraus vor allem resultieren, dass man sich alleine fühlt. Sowohl mit den Errungenschaften – die für einen selbst wertvoller glänzen, als für andere – als auch mit den schwierigen Herausforderungen und kräftezehrenden Aufgaben, die man gelegentlich eben doch nicht so einfach mal nebenbei bewerkstelligt.

Als „starke Frau“ habe ich das Recht, manchmal auch schwach zu sein.

Aber unsere Gesellschaft (und zuweilen auch wir selbst), sind ziemlich schonungslos und fordernd. Schwäche macht sich nur selten gut. Weder beim Kraxeln auf der Karriereleiter, noch bei den klitzekleinen Problemen des Alltags. YOU GOT THE POWER! Und wenn ich die manchmal gar nicht will? Ganz im Ernst: Was ist wenn ich auch einfach mal schwach sein möchte? Momente, in denen ich mich danach sehne, nicht weiter zu kämpfen, nicht weiter zu strampeln, nicht weiter zu glänzen, einfach loszulassen! Momente, in denen ich fallen möchte, um aufgefangen zu werden. Eben weil nicht immer alles selbstverständlich ist. Wer sieht dann wirklich, dass ich am Stolpern bin?

Ich habe gelernt, mir hin und wieder als „starke Frau“ das Recht zu erkämpfen, manchmal auch schwach zu sein. Das Recht von einer starken Schulter getragen zu werden und einfach durchzuatmen. Und ich habe gelernt, diese Momente zu akzeptieren und ab und zu auszukosten. Immer wieder werden vor uns Unmengen von Hürden liegen, die es zu erstürmen gilt. Und immer wieder werden wir gezwungen sein trotzige Barrikaden niederzureißen. Manchmal, aber nur manchmal, ist es dann erholsam gebrechlich und kleinlaut zu sein. Und das gilt übrigens nicht nur für das „schwache Geschlecht“ – wie ein Zyniker jetzt schreien könnte – sondern für Mann und Frau gleichermaßen.

Die Fotografien in diesem Beitrag stammen aus dem Film "Pina" von Regisseur Wim Wenders. Die Dokumentation portraitiert das Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch (c) Neue Road Movies