Manchmal fehlt etwas, von dem wir nicht wissen was es ist. Oft suchen wir lange und kommen doch nicht an. Wir versuchen Lücken zu füllen und eignen uns Techniken für ein besseres Leben an. Dass das Gute und heilsame dabei oft im Unabsehbaren steckt, erscheint uns letzten Endes zu kompliziert. Doch was erwartet uns außerhalb unserer Routinen?

Manchmal frage ich mich, an was es mir fehlt. Irgendwas fehlt doch immer. Ich würde mich nicht als glücklichen Menschen bezeichnen, auch nicht als unglücklichen, von Zeit zu Zeit jedoch als einen sehr unausgeglichenen. Ich bin gestresst, traurig und unfreundlich. Ich behalte meine Unausgeglichenheit nicht für mich, ich lasse sie heraus. Oft ganz bewusst mit dem Wissen, andere damit zu verletzen. Mir ist das dann egal. Erst Tage später kommt die Reue. Was folgt ist ein Teufelskreis aus Fragen an mich selbst, auf die ich viel zu oft keine Antworten habe.

Ich spüre, dass das was fehlt nichts Materielles ist. Schon mal ’ne ganz beachtliche Erkenntnis. Mir fehlt es auch nicht an guten Freunden oder einem Partner der mich liebt. Gut essen tu‘ ich auch. Ich lebe relativ bewusst, bescheiden und meine weiße Weste ist noch halbwegs bedenkenlos tragbar. Aber wann war ich das letzte mal glücklich? Ich mein’s ernst, ich spreche mit vollem Bewusstsein von Glück, denn ich kann behaupten, ich hab’s schon mal ehrlich und intensiv verspürt. Nicht lange, aber es war da.

Es war im Spätsommer des letzten Jahres. Ich wollte an diesem Tag zu einer Freundin fahren. Mit dem Regio von Berlin nach Brandenburg. Und weil es sich anbot, nahm ich das Fahrrad mit. Im Zug hatte ich durst. Ich suchte nach meiner Flasche und weil ich ein verdammter Kontrollfreak bin, wollte ich nebst Flasche auch mein Ticket vor der Kontrolle in meiner Hand wissen. Zum ersten Schluck kam es nicht, denn plötzlich wurde alles ganz schnell ganz schlimm, denn mein Ticket lag, anders als ich, entspannt auf meinem Bett. Wenn Pläne nicht aufgehen bedeutet das nicht automatisch Hysterie. Es bedeutet in meinem Falle schlechte Laune, und davon hatte sich innerhalb der letzten 5 Minuten genug produziert. Ich beschloss, mich nicht den Kommentaren der Kontrolleurin zu stellen, die nächste Station auszusteigen und 30 Kilometer mit dem Rad nach Brandenburg zu fahren. Alles war schlimm, obwohl alles gut war.


Alles fühlte sich nach wahrhaftigem Schicksal an, obwohl ich das Schicksal sonst nur müde belächeln kann.

Es ist viel zu oft alles schlimm, obwohl alles gut ist, das wurde mir nach diesem Trip bewusst. Ich studierte meine Route und fuhr los. Mit jedem Kilometer den ich hinter mich brachte spürte ich, dass sich etwas in mir löste. Die Umstände für eine Radtour waren eigentlich ideal. Die Sonne schien, es war halbwegs warm, die Tageszeit machte meinem Plan, jetzt spontan mal eben 30 Kilometer zurücklegen zu müssen, keinen Strich durch die Rechnung. Alles fühlte sich nach wahrhaftigem Schicksal an, obwohl ich das Schicksal sonst nur müde belächeln kann. Ich fuhr also durch bunte Wälder, malerische Felder vorbei an ebenso hübschen, kleinen Seen. Zwischendrin Dörfer mit seltsamen Namen. Zuvor fragte ich einen Freund, ob er mir für meinen Spontantrip ein Lied empfehlen könne. Er schrieb ,,Hör‘ Joji – Yeah Right“. Viel zu depressiv, dachte ich. Perfekt, musste ich letzten Endes zugeben. Ich fuhr weiter durch dichte Wälder die nur einzelne Lichstrahlen zuließen, machte Pausen und konnte nicht fassen, dass das was mir fehlt so verdammt simpel schien.

Inmitten des dichten Waldes hielt ich an. Vor mir eine lange, schmale Straße aus Schotter und Unkraut. Links als auch rechts von mir Farne, hohe Nadelbäume und Birken. Von Oben der blaue Himmel und stolze Baumkronen. Ich nahm die Stöpsel aus den Ohren und hielt an. Die Wälder sehen anders aus als dort, wo ich herkomme, dachte ich. Man kann weiter schauen, alles scheint übersichtlicher, nicht so dicht und chaotisch wie bei uns. Ich drehte mich um 360 Grad, hielt inne und realisierte, dass diese gegenwärtige Stille nichts war, dass ich aushalten musste, sondern ein wahrhaftiges Bedürfnis für mich darstellte. Dieser Moment mit mir alleine im Wald war alles nach dem sich mein Geist, meine Sinne und mein Körper sehnte – ich war wahrhaftig glücklich. Mehr gibt es nicht zu sagen.

Man könnte all das als Dankbarkeitsübung abtun oder etwas, dass man viel öfter praktizieren sollte. Die Japaner nennen es ,,Shinrin-yoku“, Waldbaden. Nun, ich war nicht im Wald baden, weil ich Waldbaden wollte. Ich war im Wald, weil die Umstände mich dorthin führten. Nichts von alledem wurde im Voraus geplant; es ist passiert. Und weil es passierte, einfach so, ich mich dem Unvorhersehbaren beugte, fehlten mir die Ambitionen, allzu vertraute Kritik zu üben. Dadurch, dass ich alles geschehen lassen habe, manövrierte ich mich wie selbstverständlich aus meiner Komfortzone heraus. Was fehlt sind Stille Momente und die Tatsache, diese geschehen zu lassen und nicht akribisch planen zu wollen. Vielleicht werde ich demnächst mal bewusst im ,,Wald baden“ und damit die Lücke füllen, von der ich zuvor nicht wusste wie ich sie füllen sollte. Ich bin mir allerdings sicher, dass es nie wieder so wird wie an jenem Spätsommernachmittag im vergangenen Jahr.