Lebenseinstellung, Trend oder Mittel zum Zweck. Die Videos rund um das Thema Minimalismus häufen sich. Und die Bewegung wird immer größer. Doch bis zu welchem Punkt ist Minimalismus sinnvoll und ab wann gleicht diese Lebensphilosophie einer Art ,,modernen Askese'', die in selbstauferlegte Entbehrung mündet? Ein paar Gedanken.

,,50 THINGS TO GET RID OF IN 2018
MY MINIMALIST WARDROBE UPDATE
15 WEIRD SIGNS THAT YOU’RE A MINIMALIST
30 DAYS TO MINIMALISM
6 THINGS I STOPPED BUYING
MY JOURNEY TO MINIMALISM
WHY I BECAME A MINIMALIST
LIVING WITH A NON-MINIMALIST
15 HACKS TO DECLUTTER YOUR LIFE“

Kaufe ein, aber nicht zu viel! Entscheide dich immer für das Richtige! Materialismus belastet dich, also löse dich davon. Jeder lebt Minimalismus anders. Besitze nicht mehr als 30 Kleidungsstücke. Marie Kondō ist deine Göttin. Wenn du deine Kleidung nicht vertikal sortierst, gehörst du nicht dazu. Iss minimalistisch und ohne Zusatzstoffe, aber setze dir dabei keine Grenzen!

Ja, denk doch mal modern. Weniger war schon immer mehr. Und die Auferlegung von Restriktionen ist Freiheit, klar. Und weil ich so modern und minimalistisch bin weiß ich auch eine Woche nach Kauf meiner Kommode durch Ebay-Kleinanzeigen nicht, mit was ich die unterste Schublade befüllen soll. Dabei war dieser Kauf ein ,,Notwendigkeitskauf“, damit meine Klamotten nicht ständig auf ,,dem“ Stuhl liegen. Bei mir zuhause hat alles seinen Platz. Ich muss nie etwas suchen und ich liebe es. Für mich eine Form von Selbstliebe. Wenn ich mich an meine Teenagerjahre bis zu meinem 20 Lebensjahr erinnere war ich zerstreut und unordentlich. Und irgendwie nervt es mich wenn ich daran denke, dass viele Menschen mich bloß so kennen. Die neue Christin existiert für sie nicht. Ordnung ist für mich etwas Gutes. Sie schafft Sicherheit in unsicheren Zeiten. Ich kenne beide Seiten und bin nicht als disziplinierter und ordnungsliebender Mensch auf die Welt gekommen. Das kam erst mit dem Schritt ins Erwachsenenleben.

Und trotz all der Selbstliebe, der Zuverlässigkeit gegenüber mir selbst und dem bloßen Gefühl, ich hätte mein Leben im Griff, macht mir Ordnung immer mehr Angst. Zu Teilen meine eigene, weil sie manchmal in Ticks übergeht und ich merke, dass ich damit irgendetwas problematisches in mir kompensieren möchte, aber auch die Ordnung der anderen. Das da oben, das sind die ersten Ergebnisse die Youtube dir ausspuckt, wenn du ,,Minimalism“ in die Suchleiste tippst. Krass, oder? Die Netzwelt hat (mal wieder) einen neuen Menschentypus erfunden – Minimalisten.

Solche Videos zu gucken hat für mich den gleichen Effekt wie die blauen M&M’s Crispy – zutiefst beruhigend und wohltuend. Am Anfang hat mich das alles noch ziemlich fasziniert. Dass da Menschen sind die dir deine Geschichte offenbaren und erzählen, wie sie sich innerhalb kürzester Zeit materiell und danach auch mental reduzieren und dadurch glücklicher sind. Alles wird aufgeräumt, für immer aus dem Leben verbannt oder erst mal aussortiert, beiseite gepackt. Kleiderschrank, Smartphone, E-Mail Posteingang, Gefrierfach. Die meisten von denen pochen nämlich darauf, dass sie durch den wenigen Konsum und das Loswerden angestaubter Konsumgüter mehr zu sich selbst gefunden haben. Kann schon sein und darf man auch gar nicht abstreiten. Sich von Konsum, egal in welcher Form, zu verabschieden finde ich nach wie vor unglaublich erstrebenswert. Aber um welchen Preis?Selbstverständlich sind unsere Lebensentwürfe alle unterschiedlich und natürlich hab ich auch den typischen Weltenbummler auf dem Schirm. Ich verstehe, dass man für dieses Leben so wenig wie möglich besitzen sollte, ansonsten wird’s anstrengend.

Ist das noch Hobby oder schon Ersatzreligion? Lebensphilosophie oder Zwang? Es gibt da nämlich auch noch die andere, weniger weltenbummlerische Seite. Nämlich jene Menschen die sich wirklich, ausschließlich und ganz bewusst als Minimalisten definieren. Ihre Liebe zur Ordnung nicht als nebenbei-Charakterzug ansehen der sich leise irgendwann ins Leben geschlichen hat, sondern ganz bewusst den Begriff ,,Minimalismus“ leben und für sich beanspruchen. Ist das cool, wenn 15 jährige Mädchen sich beim Ausmisten ihres Kleiderschranks filmen und sich einreden, dass das Projekt 333 der einzige Weg zur minimalistischen Erleuchtung sei? Mir blutet dabei ein wenig das Herz. Denn wenn du beim Ausmisten deiner wirklich schönen Lederjacke ein Stechen im Brustkorb verspürst, dann sortier‘ sie verdammt noch mal nicht aus! Nicht für Klicks, nicht für Marie Kondo, nicht für deinen vermeintlichen konsumbefreiten Seelenfrieden. Denn es gibt nichts schlimmeres als etwas zu suchen von dem man glaubt, es noch zu besitzen.

Denn das schlimmste am Minimalismus ist der Konjunktiv.